Massage nach Dr. Simeon Pressel

Jülia Pressel, Annette Robert

Letzte Aktualisierung: 22.02.2019

Im Jahre 1930 beginnend, entwickelte der Arzt Dr. med. Simeon Pressel (1) einen Massageansatz, der sich am Menschenbild Rudolf Steiners orientierte (2). Er vertiefte diesen Ansatz während seiner Arbeit als Lagerarzt in russischer Gefangenschaft, indem er seine Mitgefangenen massierte.

Später hat er seine Massage in der Tätigkeit als Schularzt der Stuttgarter Waldorfschule weiterentwickelt. Durch die Zusammenarbeit mit seiner Ehefrau Elisabeth Pressel, Masseurin der Rhythmischen Massage, wurde seine Methode ergänzt (3). Erste Kurse kamen in seinen letzten Lebensjahren unter Mitarbeit der Ärztin Gretl Stritzel zustande.

Die Massage nach Dr. Pressel wird als therapeutische sowie als hygienisch-salutogenetische Maßnahme angewandt (4). Sie ist heute eine anerkannte Methode der Anthroposophischen Körpertherapie in der Medizinischen Sektion am Goetheanum in Dornach/Schweiz.

Berufsspezifische Diagnostik

Der Therapeut nimmt mit seinen Händen und seinen durch Schulung und Übung geschärften Sinnen wahr, wie, wo und wann er dem zu Behandelnden begegnen kann. Dadurch ist eine diagnostische Resonanz möglich, die er im Austausch mit einem Arzt vertiefen kann. Die Massage selbst ist mit einer künstlerisch-musikalischen Komposition zu vergleichen, die aus den sieben Grundqualitäten der Planetenkräfte aufgebaut ist und sich bezüglich Stärke, Tempo und Dauer der Behandlung der aktuellen Situation des zu massierenden Menschen anpasst. Die aufmerksame Gegenwart und Begleitung des Therapeuten ist hierbei Voraussetzung.

Der therapeutische Ansatz

Die Ziele dieser Methode bestehen in unterstützenden Maßnahmen des Heilungsprozesses, in der Linderung von Krankheitserscheinungen, in der Pflege, der Anregung zur Selbsthilfe und in der Begleitung besonderer biographischer Entwicklungsphasen. Alle vier Wesensglieder werden über eine rhythmisch-künstlerische Bearbeitung des Leibes angesprochen und erfahren somit Unterstützung für ein ausgewogenes Zusammenspiel.

Kontraindikationen sind: akutes Fieber, Infekte, Wunden, Frakturen, Ekzeme, Schwangerschaft vor dem vierten Monat, Menstruation, Thrombose und Embolie.

Kinder vor der Pubertät müssen abgewandelt massiert werden; geschwächte Patienten vertragen unter Umständen nur einige Elemente dieser Massage.

Wirkprinzip

Ganz allgemein wirkt die Massage nach Dr. Simeon Pressel auf den Flüssigkeitsorganismus. Gespanntes, gestautes und verhärtetes Gewebe wird wieder gelockert und durchströmt, sodass die kosmischen Kräfte wieder Zugang haben und ihren Einfluss ausüben können. Aus diesem Grund wird die Massage nach Dr. Pressel gelegentlich als „Strömungsmassage“ bezeichnet (5).

Das Selbstverständnis dieser Therapie besteht darin, dass der Mensch auch aus kosmischen Kräften entstanden ist und den Zugang zu diesen im Krankwerden zunehmend verliert. Durch die Massage wird er wieder verstärkt an diese Kräfte angeschlossen und erfährt eine Belebung und Neuordnung.

Der Wechsel der Massage zwischen dem „unteren“ Menschen – Waden, Oberschenkel und Bereich des Beckens bis zur Taille – und dem „oberen“ Menschen – Schulterpartie, Arme und Nacken – entspricht dem Polaritätsprinzip der von Rudolf Steiner benannten funktionalen Dreigliederung des Menschen. Die abwechselnde Belebung des Gliedmaßen-Stoffwechselsystems und des Nerven-Sinnessystems findet ihren Ausgleich im Rhythmischen System, dem eigentlichen Heiler.

Die Wadenmassage hat eine vorherrschend abbauende, d.h. entgiftende Auswirkung. Die Rückenmassage hat eine aufbauende Qualität.

Besonderes Gewicht wird auf die Wärme gelegt, die vor der eigentlichen „Be-hand-lung“ durch äußere Zufuhr angeregt wird – mit Bürsten, Wärmeflaschen, Wollsocken und Decken. Hierdurch wird bereits eine Präsenz der Ich-Kräfte angestrebt, die während der folgenden Behandlung an Intensität gewinnen soll.

Die Ausführung der Massage wechselt sich urbildhaft mit Lemniskaten und aufeinander folgenden Spiralen ab. Über die Arbeit am Muskelorganismus und den zugehörigen Bereichen – Haut, Nervensystem, Faszien, Lymphe, Blutzirkulation usw. – werden auch die inneren Organe erreicht. Der Ablauf ist mit einer musikalischen Komposition zu vergleichen, die gegebenenfalls leicht modifiziert werden kann, abhängig von den individuellen Erfordernissen (6,7,8).

Evaluation

Sie findet durch die Dokumentation des Therapeuten nach jeder einzelnen Behandlungseinheit statt, die zuletzt in einen Gesamtüberblick über den Therapieverlauf mündet und ggf. dem Arzt mitgeteilt wird.

Patienten kommen wegen eines akuten bzw. chronischen Leidens, wegen Erschöpfungs- und Schwächezuständen oder in biographischen Krisen. Das Hauptanliegen der Massage ist, den Menschen in seiner Gesamtheit zu erfassen, ihn anzuregen und zu unterstützen, seinen weiteren Weg mutig und tatkräftig anzugehen.

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

Weiterführende Informationen zur Anthroposophischen Medizin