Orthopädie

Einführung

Matthias Girke, Stephan Melcop, Michael Hübner, Rafael Kunze, Malte Peters

Letzte Aktualisierung: 30.06.2015

Arbeitsgemeinschaft Anthroposophischer Orthopäden

Einleitung

Orthopädische Erkrankungen begleiten häufig den älteren Patienten und führen zu erheblichen Beschwerden und Einschränkungen der Mobilität. Therapeutisch werden physiotherapeutische Verfahren zur Linderung der Beschwerden und zur Verbesserung der Beweglichkeit sowie symptomatische Therapien zur Schmerzlinderung eingesetzt. Das Knochen- und Gelenkssystem, das Bindegewebs-, Muskel- und Sehnensystem erschöpft sich keinesfalls durch seine mechanischen Funktionen, sondern ist von einer differenzierten Wirksamkeit der Wesensglieder ergriffen. Die physische Organisation ist nicht unveränderlich, sondern von ständigen Umbauprozessen im Sinne eines osteoklastären Knochenabbaues und osteoblastären Aufbaues sowie Reparationsprozessen in den bradytrophen Geweben ergriffen. Die biologische Plastizität weist auf die Wirksamkeit der Lebensorganisation. Diese gegenüber tachytrophen Geweben sicher geringeren, aber dennoch vorhandenen Lebensprozesse werden durch die Bewegung moduliert. Damit wirkt das seelische Wesen, also der astralische Leib, in die Bildung des Bewegungsapparates.

Der Knochen ist in seiner Form Ausdruck der Ich-Organisation, in dem er wie auch die anderen gestalttragenden Gewebe die individuelle menschliche Gestalt zur Erscheinung bringt. Aber auch die intentionale bewegungsaktive Ich-Wirksamkeit führt zur Veränderung des Knochengewebes: So ist die aktive, willentliche und gegen Widerstand ausgeführte Bewegung mit einer Zunahme der Knochendichte verbunden, Immobilität demgegenüber mit einer Abnahme der Knochensubstanz. Die Ich-Organisation formt also die individuelle Gestalt des Leibes und wird in den Bewegungen seiner Gliedmaßen wirksam. Die Knochengesundheit ist Ausdruck des physiologischen Wirkens aller Wesensglieder des Menschen, umgekehrt führt deren Einschränkung zu den Erkrankungen des Knochensystems und der Gelenksorganisation.

Beispiele für Anthroposophische Medizin in der Orthopädie

Die veränderte Wesensgliederwirksamkeit führt zu den entsprechenden therapeutischen Maßnahmen. So ist die Osteoporose des oftmals schlanken Patienten mit einer feingliedrigen, vom Nerven-Sinnes-System geprägten Gestalt durch eine pathologische Lösung der Wesensglieder verbunden und wird umgekehrt durch deren vermehrte Aktivität im Gliedmaßensystem (wie z. B. durch Bewegung) positiv beeinflusst. Arzneimittel können diese Wirksamkeit ebenso verstärken. Osteoporose ist allerdings mehr als eine strukturelle Knochenerkrankung. Sie ist häufig, wie andere schmerzhafte Erkrankungen des Bewegungsapparates, von einer Depression begleitet. Manche Patienten erleben sich seelisch als „dünnhäutig“ und sensibel. Heileurythmie und die künstlerischen Therapien können hier segensreich wirken und zu einer intensiveren Wirksamkeit der Wesensglieder im Knochensystem führen. Schließlich ist auch auf die Individualität und ihre Biografie zu achten. So reduziert Osteoporose sich nicht nur auf die verminderte Knochendichte und die physische Erscheinung mit dem zunehmenden Rundrücken und den zurückgenommenen aufbauenden Lebensprozessen des Knochengewebes, sondern hat eine seelische und eine geistige Dimension: Bei der postmenopausalen Osteoporosemanifestation ist oftmals ein Lebensabschnitt abgeschlossen. Wesentliche Lebensziele müssen sich ändern und eine Neuorientierung stattfinden. In diesem Zusammenhang hat die biografisch orientierte Gesprächstherapie eine wesentliche Bedeutung, indem sie behilflich ist, neue Lebensziele zu erkennen und biografisch umzusetzen. Das physische Erscheinungsbild der Osteoporose zeigt mit der Kyphosierung der Brustwirbelsäule die Gefährdung der Aufrechte als leiblicher Ausdruck der Ich-Wirksamkeit. Durch Arzneitherapie, Physiotherapie, Rhythmische Massage, Heileurythmie und die künstlerischen Therapien kann im Zusammenwirken mit der gesprächstherapeutischen Patientenbegleitung eine leiborientierte, inkarnatorische Ich-Wirksamkeit verstärkt werden.

Auch bei den Diskopathien wird die Therapie durch das Verständnis der Wesensgliederwirksamkeit erheblich bereichert. Der akute Diskusprolaps verlangt ein zeitlich differenziertes Vorgehen: Initial kann durch anthroposophische Arzneimittel, lokale Anwendungen aus der Anthroposophischen Krankenpflege, eine gezielte Physiotherapie und Rhythmische Massage oftmals eine befriedigende Schmerzlinderung erreicht werden. Bei erheblicher Symptomatik erfolgt die Schmerzkontrolle symptomatisch durch klassische Analgetika. Die weiteren therapeutischen Maßnahmen orientieren sich an der oftmals degenerativen Grunderkrankung, die mit Skleroseprozessen einhergeht. Ziel ist die Unterstützung der Lebensorganisation, um die wiederum freie und nicht verhärtend eingreifende astralische Organisation sowie die leibliche, seelische und geistig-biografische Förderung der Aufrechte.

Ebenso für die Gelenkserkrankungen ergeben sich aus dem entsprechend der Dreigliederung des menschlichen Organismus differenzierten Wesensgliederwirken wesentliche therapeutische Maßnahmen. Arthroseerkrankungen sind Ausdruck von Skleroseprozessen in der Gelenksorganisation, also einer vom Nerven-Sinnes-System dominierten Krankheitsaktivität. Dieser stellen sich entzündliche Prozesse in zunächst salutogenetischer Ausrichtung entgegen. Sie führen allerdings oftmals in die chronische, destruierende und keineswegs mehr salutogen orientierte Entzündung. Durch die Anwendungen aus der anthroposophischen Krankenpflege (Arnika-Wickel, Stannum-Einreibung u. a.) in Verbindung mit einer medikamentösen Therapie (Mandragora, Stannum, Misteltherapie u. a.) können immer wieder erstaunliche Verbesserungen der Gelenkbeschwerden und Mobilität erreicht werden. Dies gilt auch für die Rheumatoide Arthritis mit ihrer in der Regel früheren, nämlich zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr liegenden Manifestation. Ihre Therapie wirkt besonders eindrucksvoll, wenn sie im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzepts mit einer Diätetik verbunden wird. Gerade bei den rheumatologischen Systemerkrankungen ist der biografische Zusammenhang ausgesprochen wesentlich. Schon früh beschreibt Rudolf Steiner die lebensgeschichtliche Bedeutung von „kindlichem Kummer“, was heute meist als Zusammenhang von kindlicher Traumatisierung und „early toxic stress“ in der Diskussion ist.

Für die Anthroposophische Orthopädie ist demzufolge Prävention zur Gelenks- und Knochengesundheit nicht nur eine Frage des gesunden Lebensstils mit physiologischer Bewegung und Ernährung, sondern reicht zurück in die Zeit der seelisch-geistigen Entwicklung in der Kindheit und möchte neue biographische Perspektiven entwickeln helfen.

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

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