Chronische Thyreoiditis Hashimoto

Matthias Girke, Roland Zerm

Letzte Aktualisierung: 18.04.2017

Krankheitsverständnis

Die chronisch­lymphozytäre Thyreoiditis Hashimoto, 1912 von Hakaru Hashimoto erstmals beschrieben (1), ist einer der häufigsten Autoimmunerkrankungen des Menschen. Sie steht in einem metamorphotischen Zusammenhang zum Morbus Basedow: Man findet Patienten, die anamnestisch einen Morbus Basedow durchgemacht haben, aktuell jedoch eine subklinische hypothyreote Stoffwechsellage mit der Antikörperkonstellation einer autoimmunen Thyreoiditis aufweisen (2). Umgekehrt kann eine ausgeprägte Hypothyreose auf dem Boden einer Hashimoto­Thyreoiditis von einer Basedow­Hyperthyreose gefolgt werden (3). Während der Morbus Basedow mit einer starken astralischen Aktivierung mit Unruhe, seelischer Exzitation, Schlafstörungen etc. einher geht, kommt es bei der Hashimoto-Thyreoiditis in der Regel zu einer Hypothyreose, die unbehandelt zur Adynamie, Müdigkeit und langen Schlafensphasen führen kann. Bei der Basedow-Hyperthyreose entwickelt sich eine zu starke Tagesaktivierung, bei der Hypothyreose infolge einer chronisch lymphozytären Thyreoiditis Hashimoto eine „pathologische Nacht“, der die aufbauend-regeneratorischen Wirksamkeiten fehlen. Die polaren Ausrichtungen der astralischen Organisation im Wachen und Schlafen werden normalerweise durch die Ich-Organisation koordiniert. Nimmt sich deren integrierende Wirksamkeit zurück, so können sich die polaren astralischen Funktionen autonomisieren und in einem Fall zum Morbus Basedow, im anderen zur Hashimoto-Thyreoiditis führen.

Krankheitsmanifestation im dreigliedrigen Organismus

Die Hashimoto-Thyreoiditis geht mit Erkrankungen im Stoffwechsel-Gliedmaßensystem einher. So sind die Dupuytrensche Kontraktur und auch das Karpaltunnelsyndrom (4) mit der Hashimoto-Thyreoiditis assoziiert. Des Weiteren besteht eine Beziehung zu Gelenkserkrankungen durch die Verbindung der Hashimoto-Thyreoiditis mit der Rheumatoiden Arthritis (5, 6). Nicht nur in der Bewegungsorganisation, sondern auch im Stoffwechselsystem finden sich gehäuft gleichsinnige, in die Sklerose führende Erkrankungen, wie die autoimmunen Lebererkrankungen (autoimmune Hepatitis) (7), das Sjögren­Syndrom, die Zöliakie, die autoimmune (metaplastische) atrophische Gastritis (6).

Im Gefäßsystem werden ebenfalls sklerosierende und verfestigende Qualitäten beschrieben. So ist bei der latenten Hypothyreose eine endotheliale Dysfunktion bekannt (8). Eine Hypothyreose kann mit einer Abnahme der Herzkontraktilität und einem Rückgang der diastolischen Relaxation verbunden sein. Darüber hinaus scheint die arterielle Steifigkeit bei Patienten mit Hashimoto­Thyreoiditis erhöht zu sein (9). Damit kommt es nicht nur im Stoffwechsel-Gliedmaßensystem, sondern auch im Rhythmischen System zu verfestigenden und im weiteren Verlauf sklerosierenden Krankheitsprozessen (8).

Im Nerven-Sinnessystem ist eine verminderte zerebrale Durchblutung bei euthyreoten Patienten mit autoimmuner Thyreoiditis im Gegensatz zu einer gesunden Kontrollgruppe dokumentiert worden. Die verwendeten Messinstrumente zu Angst und Depression zeigten signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen, allerdings ohne Korrelation zu den Perfusionsveränderungen (10). Entwickelt v. a. der Morbus Basedow die Augenbeteiligung (Endokrine Orbitopathie), so können mit der Hypothyreose Einschränkungen der Sprache (bis zur Myxödemstimme der unbehandelten Hypothyreose) verbunden sein. Das der Außenwelt zugewandte Auge und das nach dem inneren Wesen orientierte Ohr stehen sich in ihrer von Rudolf Steiner charakterisierten Polarität auch hinsichtlich dieser Schilddrüsenerkrankungen gegenüber.

Postpartale Thyreoiditis

In der Schwangerschaft ziehen sich die Ich- und die astralische Organisation der Mutter zurück, um einem neuen Wesen und seiner leiblichen Entwicklung Raum zu geben. Diese Wesensgliederwirksamkeit prädisponiert für die Hashimoto-Thyreoiditis. Die postpartale Thyreoiditis stellt eine Sonderform der lymphozytären Thyreoiditis mit charakteristischer Zeitgestalt dar. Nach initialer Hyperthyreose tritt die postpartale Hypothyreose bei bis zu 8% aller Frauen nach der Geburt auf (11). Sowohl die Silent- oder Painless-Thyreoiditis als auch die Post partum­Thyreoiditis als Sonderformen der autoimmunen lymphozytären Thyreoiditis können grundsätzlich ausheilen. Damit kennen sowohl der Morbus Basedow, als auch diese besonderen Verlaufsformen der autoimmunen Thyreoitiden die Remission.

Medikamentöse Therapie

Bei der Hashimoto-Thyreoiditis und der durch sie in unterschiedlichem Grad entstehenden hypothyreoten Stoffwechsellage kommt es zu einer Lösung des seelisch-geistigen Wesens aus dem Organismus. Daraus ergibt sich der entsprechende Heilbedarf: Die Ich- und die astralische Organisation müssen wiederum mit dem Organismus verbunden werden. Ein zentrales Arzneimittel ist in diesem Zusammenhang das Eisen. Es unterstützt die leibergreifende Wirksamkeit der astralischen und der Ich-Organisation. Auch ist die Effektivität der Jodtherapie bei Struma vom Eisen abhängig. Bei Eisenmangel und damit einer eingeschränkten Wirksamkeit von astralischer- und Ich­Organisation hat die Jodgabe eine geringere Effektivität (12). Aufgrund der durch Jod induzierbaren gesteigerten Entzündungsaktivität bei Hashimoto-Thyreoiditis ist eine Jodsubstitution hier allerdings ohnehin kontraindiziert. Durch den hohen Eisengehalt des natürlichen Levico­Wassers – seine Quellorte liegen in der italienischen Region Trentino - verbinden sich die oberen Wesensglieder verstärkt mit dem Organismus. Darüber hinaus ist sein Arsengehalt wesentlich. Die Therapieindikation für das Arsen begründet sich durch seine Entsprechung mit dem Aufwachprozess des Menschen (13). So stellt dieses Arzneimittel eine besonders kräftige therapeutische Möglichkeit zur Energisierung der astralischen Organisation in vielen Erkrankungssituationen dar. Das Levico­Wasser verfügt über einen leicht säuerlichen pH­Wert von 6,5. Durch diese Säure­Qualität kann es den astralischen Leib in eine stärkere Verbindung mit der physisch­ätherischen Organisation bringen. (In den von Rudolf Steiner beratenen Krankheitsfällen wird einmal Levico bei einer „Kropf“patientin empfohlen, »um den Astralleib in Tätigkeit zu bringen«.) (14):

  • Levico D1-D3 Dil./Weleda: 3x tgl. 20 Tr.
    oder
  • Levico comp. Amp./Wala: 1x tgl. 1 Amp. s.c. bis mehrmals wöch.
    oder
  • Levico comp. Glob./Wala: 3x tgl. 10 Glob.

Das Levico-Wasser enthält des weiteren Phosphor und damit eine Substanz, welche die Ich-­Organisation aus ihrem in der Hypothyreose schlafähnlich veränderten Wirken in das Ergreifen des Leibes führt. Der Kupferanteil dieses Heilwassers bedingt eine empfangende Geste für die sich wieder verstärkt inkarnierende astralische und Ich-­Organisation. In der floriden Erkrankungsphase mit hohen Thyreoperoxidase­Antikörper (TPO­AK) kann das Chalkosin als Kupfer­Schwefel­Verbindung zum Einsatzkommen:

  • Chalkosin D3 Trit./Rezepturpräparat (z. B. Apotheke an der Weleda): 3x tgl. 1 Msp.

 Die inkarnierende Geste von Ich und Astralleib kann durch die äußerliche Anwendung unterstützt werden mit:

  • Ferrum metallicum praep. 0,4% Ung./Weleda morgens

oder durch die innerliche Gabe von Pyrit in tiefer Potenzierung z. B.:

  • Pyrit D2, D4 Trit./Weleda: 3x tgl. 1 Msp.

Pyrit wirkt, der Charakterisierung Rudolf Steiners folgend, anregend und verstärkend auf die Ich-­Organisation, die ihrerseits den Astralleib zu lebhafter Tätigkeit aufruft und dessen Affinität zum ätherischen Organismus vergrößert (15).
Ein weiteres Arzneimittel, das Ferrum in mittlerer Potenzierung enthält, ist

  • Thyreoidea/Ferrum Glob./Wala: 3x tgl. 10 Glob.
    oder
  • Thyreoidea/Ferrum Amp./Wala: 2­3x wöch. 1 Amp. s.c.

Bei Erschöpfung mit seelischer und leiblicher Formlosigkeit werden positiv dokumentierte Erfahrungen berichtet mit (16):

  • Berthierit D6 Trit./Rezepturpräparat z. B. Apotheke an der Weleda, 3x tgl. 1 Msp.
  • Berthierit D10 Amp./Rezepturpräparat z. B. Apotheke an der Weleda, 1­3x wöch. 1 Amp. s.c.

Das natürliche Antimoneisensulfid verstärkt die formende Wirksamkeit von astralischer und Ich­-Organisation und ihr Eingreifen in die aufbauenden Stoffwechselprozesse.

Colchicum kann insbesondere bei der Struma assoziierten Hashimoto-Thyreoiditis mit entzündlicher Aktivität (und ggf. Destruktionshyperthyreose) angezeigt sein:

  • Colchicum, Tuber Rh D3, D6 Dil./Weleda: 3x tgl. 20 Tr. (16)

 Beim depressiven Patienten:

  • Hypericum Auro cultum Rh D3 Dil./Weleda: 3x tgl. 20 Tr.
    oder
  • Hypericum Auro cultum, Herba D2 Dil./Weleda: 3x tgl. 20 Tr.

Liegt ein zu schwaches Eingreifen der Ich Organisation vor, so kann bei Störungen der Aufmerksamkeit und Konzentration sowie bei Müdigkeit zur Anwendung kommen:

  • Phosphorus D5 Dil./Weleda: morgens 20 Tr.

Phosphor führt die oberen Wesensglieder in ihre dynamische Wirksamkeit im Organismus. Er sollte keinesfalls dann gegeben werden, wenn Müdigkeit und Unruhe gleichzeitig bestehen.
In substitutiver Indikation sind die Schilddrüsenhormone unverzichtbarer Bestandteil der Schilddrüsen­Heilkunde, auf deren funktionelle Bedeutung bereits Rudolf Steiner hingewiesen hat (17). Sie geben dem astralischen Leib das notwendige Werkzeug. Sind Schilddrüsenerkrankungen mit einer Symptomatologie aus dem Stoffwechselsystem verbunden, gewinnen bitterstoffartige Arzneipflanzen an Bedeutung. Chelidonium kann hier das zu schwache astralische Wirken in die Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation führen. Es kann auch in Zusammenhang mit dem Eisen gegeben werden:

  • Chelidonium Ferro cultum D3 Dil./Weleda: 3x tgl. 20 Tr.

Die Hashimoto­Thyreoiditis tritt klinisch in der Polarität des neurasthenischen und des hysterionischen, metabolisch-adipösen Krankheitstypus auf. Bei denjenigen Patienten, die ihrem seelischen Bild nach eine hyperthyreote Symptomatologie (trotz eines evtl. erhöhten basalen TSH) zeigen, ist im Unterschied zu den geschwächt und energielos wirkenden neurasthenischen Patienten eine Therapie sinnvoll mit:

  • Chalkosin D3 Trit./Weleda: 3x tgl. 1 Msp.
  • Bryophyllum 50% Trit./Weleda: 3x tgl. 1 Msp.

 Insbesondere bei vergrößerter Schilddrüse:

  • Colchicum, tuber (Rh) D3 Dil./Rezepturpräparat (z. B. Apotheke an der Weleda): 3x tgl. bis zu 20 Tr.

Die erwähnten Arzneimittel beziehen sich auf die veränderte Wesensgliederwirksamkeit bei der Hashimoto-Thyreoiditis und können zusammen mit der ggf. erforderlichen L-Thyroxin-Substitution eingesetzt werden.

Körpertherapie, Pflege und übende Verfahren

Die Eurythmietherapie ist bei Schilddrüsenerkrankungen von besonderer therapeutischer Bedeutung. Dabei kommt es darauf an, die sich aus dem Organismus lösende astralische Organisation wiederum in eine stärkere, leibergreifende Wirksamkeit zu führen. Unbehandelt führt die atrophisierende Hashimoto-Thyreoiditis zur Hypothyreose. Diese geht mit Einschränkungen der seelischen Befindlichkeit und schließlich vermehrtem Schlaf einher. Es ist allerdings kein gesunder Schlaf, der physiologischer Weise mit einer regenerativen Wesensgliederwirksamkeit verbunden ist, sondern ein pathologischer, der zur hypothyreoten Krankheitsmanifestation und zu Skleroseprozessen führt. Durch die hormonelle Substitution kann das Instrument für die astralische Wirksamkeit wiederum bereitgestellt werden. Allerdings bedeutet eine „gute“ therapeutische Einstellung mit L-Thyroxin noch nicht, dass es dem Patienten wirklich besser geht. Es unterscheidet sich oftmals Befund und Befinden. Insofern brauchen die Ich- und die astralische Organisation eine therapeutische Unterstützung, um wieder vermehrt den Organismus zu ergreifen. Diese kann der Patient neben der Arzneitherapie aktiv durch die Eurythmietherapie ergreifen. Während durch die Arzneimittel eine unter der Schwelle des Bewusstseins aktivierte Wesensgliederwirksamkeit beginnt, kann diese selbsttätig und -gesteuert vom Patienten in der Heileurythmie und auch Sprachtherapie ergriffen werden (18, S. 517-522). Jede therapeutische Übung braucht allerdings nach der aktiven Phase die Nachruhe, damit sich die Wesensglieder aus der abbauenden Stoffwechsellage, die mit der körperlichen Aktivität verbunden ist, lösen und der aufbauenden Wirksamkeit zuwenden können.

Eurythmietherapie

In der Eurythmietherapie wird oftmals eine konsonantierende Lautfolge wie
L M S
gewählt. L unterstützt die aufbauende Wesensgliederwirksamkeit, S kann je nach seiner Bewegungsqualität Gestaltungskräfte, aber auch Dynamik und Wärme im Organismus anregen. Das M hat eine zwischen dem aufbauenden Stoffwechselsystem und dem formenden Nerven-Sinnes-System vermittelnde, rhythmische Qualität.

Eine weitere wichtige Übung in der Schilddrüsenheilkunde ist aus vokalen und Konsonanten komponiert:
S M I A.
Zu den beschriebenen Qualitäten von S und M kommen nun die Vokale I und A. A hat einen intensiven Bezug zur astralischen Organisation und kann diese sowohl in das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem leiten (A-Geste nach unten geführt) oder – bei der Hyperthyreose – zu einer aus der Unruhe und Anspannung lösenden Funktion beitragen. Das I ist mit der Ich-Organisation verbunden und unterstützt deren Wirksamkeit.
Bei der Endokrinen Orbitopathie ist die Augen-Heileurythmie indiziert.

Sprachtherapie

Die grundlegende sprachtherapeutische Übung Rudolf Steiners fügt vokalische und konsonantische Laute in eine therapeutische, die Wesensgliederwirksamkeit der mit einer Struma einhergehenden Schilddrüsenerkrankungen aufgreifenden Reihenfolge zusammen (19, 106-115). Die Sprache soll durch ihre Laute, Rhythmen, Alliterationen wirken und nicht durch ihren „Sinn“. Die gedankliche Suche nach dem Sinn lähmt die therapeutische Wirkung der Laute. Im Sprechen soll nicht das gedankengetragene Bewusstsein, sondern das Lauterleben und Lautgestalten angesprochen werden.

An Angegebenes sieh innig hin.
Wiege Wagnis wenig wegen Wogenwind.
Bete bittend und tue die Tat.
Gib biegend die Gabe ab.
Kein Nickel lasse sich auch im Kasten kleben.
Wenn wüstes Wasserstauen wenig wohl winkt wird winzig.
Errette redend den netten Retter redender Erdenrede.

In der vokalisch betonten ersten Zeile wird das seelische Erleben von den im Gaumenbereich gebildeten A über das E und schließlich I in den vorderen Mundbereich geführt. Die Vokalfolge führt aus dem Stoffwechselsystem (Gaumen des Mundraumes) über das Rhythmische System zum Nerven-Sinnessystem (der sensible vordere Bereich des Mundraums mit Lippen, Zähnen). Dabei hat die Vokalfolge A, E und I hat eine inkarnatorische Qualität: Die astralische Organisation kommt aus dem Umkreis und verbindet sich mit dem Organismus. Aus der staunend-träumenden Stimmung des A entwickelt sich ihr Erwachen und „Bei-sich-Sein“ mit dem E und I. Aus diesem entsteht die leibergreifende Willensaktivität der Ich-Organisation: Das W in der zweiten und spiegelbildlich sechsten Zeile gehört zu den wärmeverwandten Blaselauten. Die letzte Zeile dieser Übung betont das R. Dieser Laut steht durch seine „zitternde“ Bewegung im Luftraum mit der astralischen Organisation in Verbindung. Das R kann im Gaumen, aber auch mit der Zunge und schließlich mit den Lippen gebildet werden. Damit umgreift es die gesamte Dreigliederung und kann die astralische Organisation aus dem Nerven-Sinnes-System über das Rhythmische System in das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System führen (und umgekehrt).

Psychotherapie und biografische Arbeit

Die Schilddrüsenerkrankungen werfen ein besonderes Licht auf das seelische und geistige Wesen des Patienten. So sind verschiedentliche lebensgeschichtliche Zusammenhänge bekannt. Der Morbus Basedow wird oftmals nach traumatisierenden Ereignissen und Schicksalsschlägen manifest (20). Seine besonders charakteristische (aber keineswegs ausschließliche) Manifestationszeit liegt zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr, die dasjenige Jahrsiebt umschließt, in dem in vielen Biografien die „Ritter- oder Mars-Zeit“ angesiedelt ist: Der Mensch muss sich in diesem Lebensalter bewähren, Widerständen begegnen und gestaltend in das Leben eingreifen. Es sollte aber nicht seelischen Dynamiken und Vorlieben, sondern geistig gefassten Zielsetzungen entsprechen. Diese Lebensphase ist deswegen auch mit der Entwicklung einer aus dem geistigen Selbst geführten Lebensgestaltung (Geistselbst) verbunden.

Möglicherweise liegen weiter zurückliegende Ereignisse auch der Entwicklung der Hashimoto-Thyreoiditis zugrunde. Da diese einen eher schleichenden und unscheinbaren Beginn aufweist, sind die Bezüge zur inneren Entwicklung des Menschen weniger deutlich. Aus den biografischen Aspekten der autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen wird deutlich, dass deren umfassende Therapie den biografischen und psychotherapeutischen Kontext braucht. Dabei kommt es allerdings weniger auf die erschöpfende Verarbeitung vergangener Erfahrungen an, als auf die zukunftsorientierte Lebensgestaltung. Welche Perspektiven laden in das Leben ein und ergänzen dadurch die gleichsinnigen medikamentösen, eurythmie- und kunsttherapeutischen Maßnahmen im Sinne eines integrativen Therapiekonzepts? Können Augenblicke innerer Ruhe geschaffen werden, in denen das Wesentliche vom Unwesentlichen unterschieden werden kann?

Diese Fragen innerer Entwicklung führen zu Übungen, die sich auf den geistigen Entwicklungsweg bis zur meditativen Praxis beziehen. Entscheidende Übungen sind die sogenannten „Sechs Eigenschaften“ und die Übungen des achtgliedrigen Entwicklungswegs, die Rudolf Steiner verschiedentlich als Grundelemente einer inneren spirituellen Entwicklung dargestellt hat. Diese hat zum Ziel, den Menschen in seiner Selbstwerdung zu unterstützen und ihn auf seinem Weg, das Geistige im Menschenwesen mit dem Geistigen im Weltall zu verbinden, zu unterstützen. Gleichzeitig hat diese spirituelle Entwicklung eine gesundende Wirkung auf den Leib. Innere Entwicklung und leibliches Gesunden stehen in einem Zusammenhang und sind deswegen schon bei der praktischen Umsetzung der Anthroposophischen Medizin Anfang des letzten Jahrhunderts von Steiner in die integrativ ausgerichteten Therapieempfehlungen aufgenommen worden. Gegenwärtig haben übende Verfahren und meditative Techniken eine immer größere Bedeutung in der integrativ ausgerichteten Medizin (21). Entscheidend ist allerdings nicht nur die meditative Praxis und Übung als solche, sondern deren Inhalt, denn der Mensch erhält „Wesen und Bedeutung von dem, womit er verbunden ist.“ (22, S. 50)

Wirksamkeit, Evidenz, Einzelfallberichte

Die Arzneimittelwahl und nichtmedikamentösen Therapieindikationen leiten sich konzeptionell aus dem anthroposophischen Krankheitsverständnis und dem daraus folgenden Therapiebedarf ab. Die Beurteilung der Wirksamkeit ergibt sich als interne Evidenz aus dem Therapieverlauf. Klinische Erfahrungen zu den einzelnen Arzneimitteln sind in der Fachliteratur (siehe z. B. 23-24) und im Vademecum Anthroposophischer Arzneimittel (25) verzeichnet.

Studien zur externen Evidenz dokumentieren Ergebnisse von Behandlungen an definierten Kollektiven, die in der Vergangenheit liegen. Als solche sind sie eine wertvolle Basis, um prospektiv die potenzielle Wirksamkeit einer therapeutischen Maßnahme in einer gegenwärtigen Anwendung einzuschätzen. Ob diese allerdings wie vermutet eintritt, muss – nicht zuletzt bei großen number needed to treat (NNT) – durch die ärztliche Beurteilung des Einzelfalles entschieden werden. Der Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit im aktuellen Behandlungsfall ist bereits früh von Rudolf Steiner gefordert worden (27). Kennt man die im Zusammenhang mit einer therapeutischen Maßnahme zu erwartende Wirksamkeit, so lässt sich im Falle ihres Nachweises in der Behandlung des Patienten die Wirksamkeit des Therapeutikums im Sinne der internen Evidenz feststellen:

„Und das ist so wichtig bei unserer Methode, dass wir nicht äußerlich probieren und durch Statistiken feststellen, sondern rationell voraussagen, was eintreten muss, und dass dann geprüft werden kann, schon im allerersten Stadium dessen, was eintritt, ob man tatsächlich die entsprechenden Wirkungen hervorbringt.“ (26, S. 118)

„Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit“ (27, S. 126) ist Grundelement des Erkennens und erscheint hier in seiner Anwendung in der Wirksamkeitsbeurteilung einer therapeutischen Maßnahme. Das begriffliche Prinzip des Arzneimittels muss also in der klinischen Erfahrungswelt gefunden werden. Erst durch die Zusammenführung von Begriff und Wahrnehmung wird Evidenz im erkenntnistheoretischen Sinne erreicht (28, 29, S. 121-134). Dieser Ansatz liegt der von Helmut Kiene entwickelten Methodologie der Cognition-based Medicine zugrunde (30).

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Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

Weiterführende Informationen zur Anthroposophischen Medizin