Morbus Basedow

Matthias Girke, Roland Zerm

Letzte Aktualisierung: 19.04.2017

Krankheitsverständnis

Der Morbus Basedow ist im Unterschied zur Hashimoto-Thyreoiditis durch eine klinische Symptomatik gekennzeichnet, deren zeitlicher Beginn vom Patienten oftmals angegeben werden kann. Schwerwiegende Schicksalsereignisse und Trennungssituationen von nahestehenden Menschen können bei gegebener Konstitution eine seelische Dynamik bedingen, die nicht mehr durch die Individualität gelenkt werden kann (1). Derartige Ereignisse gehen oftmals der Basedow­-Manifestation voraus. Der Morbus Basedow ist durch eine zu geringe Wirksamkeit der Ich-­Organisation gegenüber der entfesselten Dynamik der astralischen Organisation gekennzeichnet und gehört zur Gruppe der immunogenen Thyreopathien. Der Orbitopathie beim Morbus Basedow liegt die exzitierte, von der Ich­-Organisation nicht mehr ausreichend gelenkte, astralische Organisation zugrunde. “Der astralische Leib treibt die Augen nach außen. Die Ich­-Organisation ist dazu da, dieses Nach­außen­Treiben der Augen zu beherrschen. Unsere Augen sind durch das stabil labile Gleichgewicht zwischen der Ich­-Organisation und dem astralischen Leib in ihrer der Organisation entsprechenden Lage gehalten.“ (2)

Manifestation im dreigliedrigen Organismus

Der Morbus Basedow kann zu einer ausgeprägten Schwäche der Muskulatur (thyreotoxische Myopathie) und osteoporoseartigen Knochenveränderung (thyreotoxische Osteopathie) und damit zu charakteristischen Veränderungen im Stoffwechsel-Gliedmaßensystem führen.

Im Rhythmischen System ist die beschleunigte Herz- und ggf. auch Atemfrequenz auffallend. Seelisch werden Unruhe, Nervosität als Zeichen der exzitierten astralischen Organisation beklagt.

Im Nerven-Sinnes-System ist die Endokrine Orbitopathie das bereits 1840 in die Merseburger Trias des Basedow aufgenommene charakteristische Symptom.

Medikamentöse Therapie

Beim Morbus Basedow muss die Wirksamkeit der Ich-Organisation verstärkt werden, die exzitierte astralische Organisation beruhigt und die ätherische Organisation bei dem erheblichen Katabolismus der Hyperthyreose gestärkt werden. Kupferverbindungen können durch ihren Bezug zur Wärme die integrative Kraft der Ich-Organisation unterstützen: Cuprit mit seiner rubinroten, kristallartigen Qualität hat Beziehung zum Nerven­Sinnessystem, das Chalkosin demgegenüber durch seine Verbindung mit dem Schwefel zum Stoffwechsel-Gliedmaßensystem.

  • Chalkosin D3 Trit./Rezepturpräparat (z. B. Apotheke an der Weleda): 3x tgl. 1 Msp.
  • Cuprit D3 Trit./Weleda: 3x tgl. 1 Msp.
  • Cuprit D6 Amp./Weleda: 1x tgl. bis mehrmals wöch., insbesondere zu Beginn der Therapie

Durch den Kupferglanz und das Cuprit wird die Ich-­Organisation, deren Wirksamkeit gegenüber der exzitierten astralischen Dynamik zu stärken ist, angesprochen. Zur Verstärkung der gestaltenden Qualität in der entzündeten Schilddrüse wird zusätzlich das potenzierte Organpräparat empfohlen:

  • Glandula thyreoidea D20 Amp./Wala: 1x tgl. 1 Amp. s.c. morgens über 3 Wochen
  • Thyreoidea comp. Amp./Wala: 1x tgl. 1 Amp. s.c. morgens über 3 Wochen

In der höheren Potenzierung ist der stoffliche Bereich des Organpräparates längst verlassen worden zugunsten der organbildenden Strukturkraft für den ätherischen Organismus. Ein weiteres wesentliches Arzneimittel, das seinen Zusammenhang mit dem astralischen Wirken besonders augenfällig in sich trägt, ist Colchicum.

  • Colchicum, tuber Rh D3, Dil./Weleda: 3x tgl. 20 Tr.
    oder
  • Colchicum, tuber Rh D3-D6 Amp./Weleda: tgl. bis mehrmals wöch. 1 Amp. s.c. zu Beginn der Therapie

Einige Patienten brauchen Colchicum in geringerer Dosierung oder auch höherer Potenzierung (z. B. D6). Das Zurückführen und Beruhigen der astralischen Organisation kann durch Bryophyllum wirksam unterstützt werden:

  • Bryophyllum 50% Trit./Weleda: 3x tgl. 1 Msp.
    oder
  • Bryophyllum D5/Conchae D7 aa Amp./Weleda: 1x tgl. 1 Amp. s.c. bei Bedarf

Die strukturierende und formende Kraft der Ich-Organisation gegenüber der unruhigen seelischen Dynamik kann unterstützt werden durch:

  • Stibium metallicum praeparatum D6 Trit./Weleda: 3x tgl. 1 Msp.

Ein harmonisierendes Kompositionspräparat ist:

  • Thyreoidea comp. Glob./Wala: 3x tgl. 10 Glob.

Es enthält Conchae D6, Chalkosin D5, Glandula thyreoidea D7 und Atropa belladonna D14.

Eine weitere wesentliche Heilpflanze ist Lycopus virginicus, die, im Unterschied zu den wärmenahen Vertretern dieser Familie (wie z. B. Lavendel), die Bildung der ätherischen Öle zurücknimmt. Die Pflanze wird nicht vergleichbar intensiv von der Wärme und dem astralischen Wirken berührt, vielmehr scheint sie sich von diesen Qualitäten zurückzuziehen. Entsprechend kann diese Heilpflanze die exzitierte astralische Dynamik der Hyperthyreose zurücknehmen.

  • Lycopus virginicus D1-D6 Dil./Rezepturpräparat (z. B. Apotheke an der Weleda): 3x tgl. 20 Tr.
    oder
  • Thyreogutt mono Tbl./Schwabe: 3x 1 Tbl. tgl.

Bei der manifesten Hyperthyreose ist im Regelfall eine thyreostatische Medikation erforderlich. Es stellt sich auch die Frage der definitiven Therapie im Sinne eines operativen Verfahrens (Near Total Resektion) oder der Radiojodtherapie. Bei Morbus Basedow sollte primär durch die Therapie und eine Lebensumstellung versucht werden die Remission zu erreichen. Die Remissionswahrscheinlichkeit ist jedoch bei großem Schilddrüsenvolumen als geringer einzuschätzen. Auch sprechen schon initial deutlich erhöhte TRAK-Werte (>>10 U/l) gegen die Remission. Bestehen trotz erreichter Euthyreose weiter eine Unruhe und schwerwiegende biografische Ereignisse, sollte eine Gesprächstherapie und die Heileurythmie, als auch eine künstlerische Therapie begonnen werden. Die inneren Aufgabenstellungen erweisen sich auch hier als sinnvoll (3, S. 517-522). Über die operative oder auch Radiojodtherapie sollte erst nach einer ausreichend lange (je nach Verlauf und Entzündungsaktivität in der Regel bis zu zwei Jahren) dimensionierten Behandlung entschieden werden.

Bei der Endokrinen Orbitopathie kommt dem Cuprit eine wesentliche Bedeutung zu. Die intentionale Wahrnehmungsaktivität, also der aktive Blick, ist mit dem dynamischen Wesen des Phosphors verbunden, die lichtdurchlässige Organisation des Auges mit dem Quarz. Bei der Endokrinen Orbitopathie ist ein exzitierter Phosphorprozess abzunehmen und die gestaltende Qualität durch Quarz zu unterstützen:

  • Cuprit D6 Amp./Weleda: 1x tgl. 1 Amp. s.c. morgens

ggf. zusammen mit:

  • Phosphorus D8, D20 Amp./Weleda: 1x tgl. 1 Amp. s.c. morgens

In der entzündlich dominierten frühen Phase ist zusätzlich indiziert:

  • Apis mellifica D6-D20 Amp./Weleda: 1x tgl. 1 Amp. s.c. morgens
    oder
  • Apis ex animale GI D6, D12, D20 Amp./Wala: 1x tgl. 1 Amp. s.c. morgens

Bei der Endokrinen Orbitopathie kommen in der Regel mittlere (D12) bis hohe (D20) Potenzierungen in Betracht. In der chronischen Behandlungsphase kann langfristig eingesetzt werden:

  • Cuprit D3-D6 Trit./Weleda: 3x tgl. 1 Msp.

Körpertherapie, Pflege und übende Verfahren

Die Eurythmietherapie ist bei Schilddrüsenerkrankungen von besonderer therapeutischer Bedeutung. Dabei kommt es darauf an, die beim Morbus Basedow aktivierte astralische Organisation durch die Ich-Organisation zu ergreifen, aus ihrer einseitigen Bewusstseinsorientierung zu lösen und wiederum in ihrer aufbauenden Funktion mit dem Organismus zu verbinden. Insofern brauchen die Ich- und die astralische Organisation eine therapeutische Unterstützung, die der Patient neben der Arzneitherapie aktiv durch die Eurythmietherapie ergreifen kann. Oftmals kann durch die Medikation eine Euthyreose erreicht werden. Allerdings fühlen sich zahlreiche Patienten dennoch unruhig und „wie hyperthyreot“. Es unterscheidet sich dann Befund und Befinden. Insofern brauchen die Ich- und die astralische Organisation ihre therapeutische Unterstützung. Diese kann neben der Arzneitherapie aktiv vom Patienten durch die Eurythmietherapie ergriffen werden. Während durch die Arzneimittel eine unter der Schwelle des Bewusstseins aktivierte Wesensgliederwirksamkeit beginnt, kann diese selbsttätig und -gesteuert vom Patienten in der Heileurythmie und auch der Sprachtherapie ergriffen werden (4, S. 517-522), (5). Jede therapeutische Übung braucht allerdings nach der aktiven Phase die Nachruhe, damit sich die Wesensglieder aus der abbauenden Stoffwechsellage, die mit der körperlichen Aktivität verbunden ist, lösen und der aufbauenden Wirksamkeit zuwenden können.

Bei der Therapie der endokrinen Orbitopathie sind die Heileurythmie und auch die Augenheileurythmie besonders wesentlich. Die astralische Organisation kann dadurch ihre Beruhigung und die Ich-­Organisation eine Verstärkung ihrer Wirksamkeit erfahren. Darüber hinaus sind die künstlerischen Therapien und eine gesprächstherapeutische Begleitung von Bedeutung. Selbstverständlich müssen Patienten mit Endokriner Orbitopathie das Rauchen einstellen.

Eurythmietherapie

In der Eurythmietherapie wird oftmals eine konsonantierende Lautfolge wie
L M S
gewählt. L unterstützt die aufbauende Wesensgliederwirksamkeit, S kann je nach seiner Bewegungsqualität Gestaltungskräfte, aber auch Dynamik und Wärme im Organismus anregen. Das M hat eine zwischen dem aufbauenden Stoffwechselsystem und dem formenden Nerven-Sinnes-System vermittelnde, rhythmische Qualität.

Eine weitere wichtige Übung in der Schilddrüsenheilkunde ist aus vokalen und Konsonanten komponiert:
S M I A.
Zu den beschriebenen Qualitäten von S und M kommen nun die Vokale I und A. A hat einen intensiven Bezug zur astralischen Organisation und kann diese sowohl in das Stoffwechsel-Gliedmassensystem leiten (A-Geste nach unten geführt) oder – bei der Hyperthyreose – zu einer aus der Unruhe und Anspannung lösenden Funktion beitragen. Das I ist mit der Ich-Organisation verbunden und unterstützt deren Wirksamkeit.
Bei der Endokrinen Orbitopathie ist die Augen-Heileurythmie indiziert.

Sprachtherapie

Die grundlegende sprachtherapeutische Übung Rudolf Steiners fügt vokalische und konsonantische Laute in eine therapeutische, die Wesensgliederwirksamkeit der mit einer Struma einhergehenden Schilddrüsenerkrankungen aufgreifenden Reihenfolge zusammen (6). Die Sprache soll durch ihre Laute, Rhythmen, Alliterationen wirken und nicht durch ihren „Sinn“. Die gedankliche Suche nach dem Sinn lähmt die therapeutische Wirkung der Laute. Im Sprechen soll nicht das gedankengetragene Bewusstsein, sondern das Lauterleben und Lautgestalten angesprochen werden.

An Angegebenes sieh innig hin.
Wiege Wagnis wenig wegen Wogenwind.
Bete bittend und tue die Tat.
Gib biegend die Gabe ab.
Kein Nickel lasse sich auch im Kasten kleben.
Wenn wüstes Wasserstauen wenig wohl winkt wird winzig.
Errette redend den netten Retter redender Erdenrede.

In der vokalisch betonten ersten Zeile wird das seelische Erleben von den im Gaumenbereich gebildeten A über das E und schließlich I in den vorderen Mundbereich geführt. Die Vokalfolge führt aus dem Stoffwechselsystem (Gaumen des Mundraumes) über das Rhythmische System zum Nerven-Sinnessystem (der sensible vordere Bereich des Mundraums mit Lippen, Zähnen). Dabei hat die Vokalfolge A, E und I hat eine inkarnatorische Qualität: Die astralische Organisation kommt aus dem Umkreis und verbindet sich mit dem Organismus. Aus der staunend-träumenden Stimmung des A entwickelt sich ihr Erwachen und „Bei-sich-Sein“ mit dem E und I. Aus diesem entsteht die leibergreifende Willensaktivität der Ich-Organisation: Das W in der zweiten und spiegelbildlich sechsten Zeile gehört zu den wärmeverwandten Blaselauten. Die letzte Zeile dieser Übung betont das R. Dieser Laut steht durch seine „zitternde“ Bewegung im Luftraum mit der astralischen Organisation in Verbindung. Das R kann im Gaumen, aber auch mit der Zunge und schließlich mit den Lippen gebildet werden. Damit umgreift es die gesamte Dreigliederung und kann die astralische Organisation aus dem Nerven-Sinnes-System über das Rhythmische System in das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System führen (und umgekehrt). Bei einer zu starken, durch die Ich-Organisation nicht gelenkten astralischen Aktivität (z. B. beim Morbus Basedow) sind die formenden Konsonanten therapeutisch wirksam.

Psychotherapie und biografische Arbeit

Die Schilddrüsenerkrankungen werfen ein besonderes Licht auf das seelische und geistige Wesen des Patienten. So sind verschiedentliche lebensgeschichtliche Zusammenhänge bekannt. Der Morbus Basedow wird oftmals nach traumatisierenden Ereignissen und Schicksalsschlägen manifest (7). Seine besonders charakteristische (aber keineswegs ausschließliche) Manifestationszeit liegt zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr, die dasjenige Jahrsiebt umschließt, in dem in vielen Biografien die „Ritter- oder Mars-Zeit“ angesiedelt ist: Der Mensch muss sich in diesem Lebensalter bewähren, Widerständen begegnen und gestaltend in das Leben eingreifen. Es sollte aber nicht seelischen Dynamiken und Vorlieben, sondern geistig gefassten Zielsetzungen entsprechen. Diese Lebensphase ist deswegen auch mit der Entwicklung einer aus dem geistigen Selbst geführten Lebensgestaltung (Geistselbst) verbunden. Möglicherweise liegen weiter zurückliegende Ereignisse auch der Entwicklung der Hashimoto-Thyreoiditis zugrunde. Da diese einen eher schleichenden und unscheinbaren Beginn aufweist, sind diese Bezüge zur inneren Entwicklung des Menschen weniger deutlich. Aus den biografischen Aspekten der autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen wird deutlich, dass deren umfassende Therapie den biografischen und psychotherapeutischen Kontext braucht. Dabei kommt es allerdings weniger auf die erschöpfende Verarbeitung vergangener biografischer Erfahrungen an, als auf die zukunftsorientierte Lebensgestaltung. Welche Perspektiven laden in das Leben ein und ergänzen dadurch die gleichsinnigen medikamentösen, eurythmie- und kunsttherapeutischen Maßnahmen im Sinne eines integrativen Therapiekonzepts? Können Augenblicke innerer Ruhe geschaffen werden, in denen das Wesentliche vom Unwesentlichen unterschieden werden kann?

Diese Fragen innerer Entwicklung führen zu Übungen, die sich auf den geistigen Entwicklungsweg bis zur meditativen Praxis beziehen. Entscheidende Übungen sind die sogenannten „Sechs Eigenschaften“ und die Übungen des achtgliedrigen Entwicklungswegs, die Rudolf Steiner verschiedentlich als Grundelemente einer inneren spirituellen Entwicklung dargestellt hat. Diese hat zum Ziel, den Menschen in seiner Selbstwerdung zu unterstützen und ihn auf seinem Weg, das Geistige im Menschenwesen mit dem Geistigen im Weltall zu verbinden, zu unterstützen. Gleichzeitig hat diese spirituelle Entwicklung eine gesundende Wirkung auf den Leib. Innere Entwicklung und leibliches Gesunden stehen in einem Zusammenhang und sind deswegen schon bei der praktischen Umsetzung der Anthroposophischen Medizin Anfang des letzten Jahrhunderts von Steiner in die integrativ ausgerichteten Therapieempfehlungen aufgenommen worden. Gegenwärtig haben übende Verfahren und meditative Techniken eine immer größere Bedeutung in der integrativ ausgerichteten Medizin (8). Entscheidend ist allerdings nicht nur die meditative Praxis und Übung als solche, sondern deren Inhalt, denn der Mensch erhält „Wesen und Bedeutung von dem, womit er verbunden ist“ (9, S. 50).

Wirksamkeit, Evidenz, Einzelfallberichte

Die Arzneimittelwahl und nichtmedikamentösen Therapieindikationen leiten sich konzeptionell aus dem anthroposophischen Krankheitsverständnis und dem daraus folgenden Therapiebedarf ab. Die Beurteilung der Wirksamkeit ergibt sich als interne Evidenz aus dem Therapieverlauf. Klinische Erfahrungen zu den einzelnen Arzneimitteln sind in der Fachliteratur (siehe z. B. 10-11) und im Vademecum Anthroposophischer Arzneimittel (12) verzeichnet.

Studien zur externen Evidenz dokumentieren Ergebnisse von Behandlungen an definierten Kollektiven, die in der Vergangenheit liegen. Als solche sind sie eine wertvolle Basis, um prospektiv die potenzielle Wirksamkeit einer therapeutischen Maßnahme in einer gegenwärtigen Anwendung einzuschätzen. Ob diese allerdings wie vermutet eintritt, muss – nicht zuletzt bei großen number needed to treat (NNT) – durch die ärztliche Beurteilung des Einzelfalles entschieden werden. Der Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit im aktuellen Behandlungsfall ist bereits früh von Rudolf Steiner gefordert worden (14, S. 126). Kennt man die im Zusammenhang mit einer therapeutischen Maßnahme zu erwartende Wirksamkeit, so lässt sich im Falle ihres Nachweises in der Behandlung des Patienten die Wirksamkeit des Therapeutikums im Sinne der internen Evidenz feststellen:

„Und das ist so wichtig bei unserer Methode, dass wir nicht äußerlich probieren und durch Statistiken feststellen, sondern rationell voraussagen, was eintreten muss, und dass dann geprüft werden kann, schon im allerersten Stadium dessen, was eintritt, ob man tatsächlich die entsprechenden Wirkungen hervorbringt.“ (13, S. 118)

„Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit“ (14) ist Grundelement des Erkennens und erscheint hier in seiner Anwendung in der Wirksamkeitsbeurteilung einer therapeutischen Maßnahme. Das begriffliche Prinzip des Arzneimittels muss also in der klinischen Erfahrungswelt gefunden werden. Erst durch die Zusammenführung von Begriff und Wahrnehmung wird Evidenz im erkenntnistheoretischen Sinne erreicht (15), (16, S. 121-134). Dieser Ansatz liegt der von Helmut Kiene entwickelten Methodologie der Cognition-based Medicine zugrunde (17).

Literaturverzeichnis

  1. Bové KB, Watt T, Vogel A, Hegedüs L, Bjoerner JB, Groenvold M, Bonnema SJ, Rasmussen ÅK, Feldt-Rasmussen U. Anxiety and depression are more prevalent in patients with graves' disease than in patients with nodular goitre. European Thyroid Journal 2014;3(3):173-178.[Crossref]
  2. Steiner R. Anthroposophische Menschenerkenntnis und Medizin. GA 319. Vortrag vom 28.08.1924. 3. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1994.
  3. Girke M. Innere Medizin. Grundlagen und therapeutische Konzepte . 2. akt. und erg. Aufl. Berlin: Salumed Verlag; 2012.
  4. Girke M. Innere Medizin. Grundlagen und therapeutische Konzepte . 2. akt. und erg. Aufl. Berlin: Salumed Verlag; 2012.
  5. von Bonin D, Gutschner P. Indikationen der Therapeutischen Sprachgestaltung. Der Merkurstab 2012;65(1):25-33.
  6. Denjean-von Stryk B, Unterbusch R. An Angegebenes sich innig hin. In: von Bonin D (Hg.) Materialien zur Therapeutischen Sprachgestaltung. Dornach: Verlag Förderstiftung Anthroposophische Medizin im Verlag am Goetheanum; 2008:106-115.
  7. Fukao A, Takamatsu J, Murakami Y, Sakane S, Miyauchi A, Kuma K, Hayashi S, Hanafusa T. The relationship of psychological factors to the prognosis of hyperthyroidism in antithyroid drug-treated patients with Graves' disease. Clinical Endocrinology (Oxf). 2003;58(5):550-555.
  8. Glöckler M (Hg). Meditation in der Anthroposophischen Medizin. Ein Praxisbuch für Ärzte, Therapeuten, Pflegende und Patienten. Berlin: Salumed Verlag; 2016.
  9. Steiner R. Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung. GA 9. 32. durchges. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 2003.
  10. Scheffer C, Debus M, Heckmann C, Cysarz D, Girke M. Colchicum autumnale in patients with goitre with euthyroidism or mild hyperthyroidism: indications for a therapeutic regulative effect – Results of an observational study. Der Merkurstab 2016;69(6):439-445.
  11. Scheurle HJ. Ferrum met.-0,4%-Salbe bei Schilddrüsenstörungen. Der Merkurstab 1993;46(4):346-352.
  12. Vademecum Anthroposophische Arzneimittel. 3. erw. Aufl. Supplement Der Merkurstab; 2013.
  13. Steiner R. Anthroposophische Menschenerkenntnis und Medizin. GA 319. 3. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1994.
  14. Steiner R. Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften. GA 1. 4. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1987.
  15. Steiner R. Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung. GA 2. 8. durchges. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 2003.
  16. Girke M. Wirksamkeitsnachweis und Nutzenbewertung in der Medizin. In: Girke M. Innere Medizin. Grundlagen und therapeutische Konzepte . 2. akt. und erg. Aufl. Berlin: Salumed Verlag; 2012.
  17. Kiene H. Komplementäre Methodenlehre der klinischen Forschung. Cognition-based Medicine. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag; 2001. Kostenlos verfügbar unter: http://www.ifaemm.de/Abstract/PDFs/CBM_Buch.pdf

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

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