Schilddrüsenkarzinom

MatthiasGirke, RolandZerm

Letzte Aktualisierung: 10.05.2017

Krankheitsverständnis

Schilddrüsenkarzinome sind eher selten und bei entsprechender (frühzeitiger) Diagnostik und Therapie meist heilbar. Sie entwickeln sich in einem endokrin aktiven Organ, das in enger Beziehung zum geistigen und seelischen Wesen des Menschen steht (1). Insofern verlangt das Krankheitsverständnis und die sich hierauf gründende Therapie die Berücksichtigung des seelischen und des geistigen Wesens des Patienten. Entscheidend ist die operative Therapie. An diesen Eingriff im physischen Körper des Patienten schließt sich Stadien abhängig oftmals eine Radiojodtherapie an, die sich gegen die Lebensprozesse jodavider Zellen richtet und diese im Falle des Karzinoms zerstören soll. Viele Patienten fragen des Weiteren nach Zusammenhängen mit ihrem seelischen Wesen, haben biografische Fragen („Was möchte mir diese Erkrankung sagen?“) und damit nach ihrer Individualität als geistigem Wesen des Menschen.

Dem Wesensgliederwirken bei der Karzinomkrankheit entsprechend – d. h. dem sich Herauslösen von Astralleib und Ich-Organisation gemäß der Funktionsdynamik einer “Sinnesorganbildung am falschen Ort“ (2) – werden unterschiedliche Veränderungen im feingeweblichen Aufbau der Schilddrüse beschrieben. Löst sich der astralische Leib aus der Schilddrüsenorganisation, so entwickelt sich eine nicht mehr ausreichend gelenkte und gestaltete proliferative Lebendigkeit. Das papilläre Schilddrüsenkarzinom (PTC) bildet ca. 70% bis 80% der Schilddrüsenkarzinome und besitzt keinen ausgewiesenen Altersgipfel. Ein großer Teil der PTC tritt jedoch zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr auf, häufiger bei Frauen als bei Männern. Bei diesem Tumortyp wird die follikuläre Struktur als abschließende Gestaltqualität zunehmend verlassen, indem sich papilläre Strukturen ausbilden. Auch sind sie nicht von einer Kapsel umgeben und zeigen häufiger zystische Veränderungen. Entzündungszellen können als polare Qualität das Malignom umgeben bzw. infiltrieren. Das papilläre Karzinom kann einerseits als Mikrokarzinom (Durchmesser <1cm) autoptisch in bis zu 50% angetroffen werden und damit klinisch irrelevant bleiben. Auf der anderen Seite kann es sich zu einem progredienten Tumorleiden entwickeln, oftmals multifokal. Das follikuläre Karzinom (ca. 20% der Schilddrüsenkarzinome, Altersgipfel zwischen 50 und 60 Jahren) scheint dem Ausgangsgewebe noch am nächsten zu stehen. Der Astralleib kann seine gestaltende Kraft an den Ätherleib noch herantragen. Beim anaplastischen Karzinom, das ca. 3–5% der Schilddrüsenkarzinome und von dem überwiegend ältere Menschen jenseits des 70. Lebensjahres betroffen sind, wird die gestaltende Wirksamkeit von Astralleib und Ich-­Organisation kaum noch vorgefunden. Es gehört zu den aggressivsten Karzinomtypen überhaupt. So liegt die mittlere Überlebenserwartung bei ca. 100 Tagen (3). Bei diesem Tumortypus entwickelt sich in der Entdifferenzierung die “Katastrophe der Form“. Ich-­Organisation und Astralleib haben sich aus diesem Bereich des Leibes gelöst und dem Umkreis zugewandt. Therapeutisch ist die frühzeitige Diagnose und Operation entscheidend.

Medikamentöse Therapie

Das Schilddrüsenkarzinom gehört in der Regel zu den gut behandelbaren Erkrankungen. Wesentliche Ausnahmen sind die entdifferenzierten Karzinome bis hin zum anaplastischen Karzinom. Auch das fortgeschrittene medulläre Schilddrüsenkarzinom ist diesbezüglich anders einzuschätzen. Die operative Therapie ist dem Stadium der Erkrankung entsprechend durchzuführen. Auch wird in der Regel eine Radiojodtherapie in Hypothyreose (TSH >25) oder Thyrotropinstimulation erforderlich. Mit dem Patienten sind die Wirkungen aber auch die möglichen Nebenwirkungen der Radiojodtherapie ausführlich zu besprechen (schmerzhafte Schwellung der Schilddrüsenregion, Sialadenitis, Gastritis und als Spätfolgen Xerostomie, Azospermie, Klimakterium praecox, Knochenmarkdepression und Sekundärtumore/Leukämien bei hoher Kumulativdosis - Häufigkeit ca. 1% - (4) sowie vermutlich ein erhöhtes Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse (5). Die Radiojodtherapie bedarf einer sorgfältigen und gegenüber ihrer weiten Verbreitung auch kritischen Indikationsstellung insbesondere bei gut differenzierten Tumoren (T1N0). „…the increased risk of a SPM [second primary malignicy] in patients with low-risk (T1N0) WDTC [well differentiated thyroid cancer], along with a lack of data demonstrating improved survival outcomes with adjuvant RAI, provide a compelling argument in favor of rationing the use of RAI in this patient population” wird es von Lyer et al. zusammengefasst (6).
Vor dem Hintergrund der negativen Konsequenzen einer subklinischen Hyperthyreose ist ein Stadien abhängig niedriges basales TSH anzustreben und die TSH-suppressive Einstellung zu vermeiden (Ausnahme persistierende Tumorerkrankung). Das veränderte, zum Umkreis orientierte Wirken der oberen Wesensglieder muss wieder zum Eingreifen in den Organismus geführt werden. Aus diesem Grunde ist eine Therapie mit Ferrum zu empfehlen:

  • Thyreoidea/Ferrum Amp./Wala: tgl. 1 Amp. s.c. morgens
    oder
  • Thyreoidea/Ferrum Glob./Wala: 3x tgl. 10 Glob.

 Bei depressiver Symptomatik (im Rahmen der Hypothyreose) kommt in Betracht:

  • Hypericum Auro cultum D2 Dil./Weleda: 3x tägl. 20 Tr.

Bei Müdigkeit und eingeschränkter Vitalität:

  • Levico comp. Amp./Wala: bis 1x tägl. 1 Amp. s.c.

Bei vorbestehender Struma können die für diese Erkrankung angegebenen Arzneimittel ihre Anwendung finden (vor allem das Colchicum autumnale). Selbstverständlich dürfen vor einer Radiojodtherapie keine jodhaltigen Arzneimittel verordnet werden. Auch sei an dieser Stelle auf das Organpräparat hingewiesen, zur Unterstützung der Gestaltungskräfte in der Organbildung:

  • Glandula thyreoidea Amp./Wala, Weleda

Misteltherapie

Beim Schilddrüsenkarzinom kommt die Misteltherapie zur Anwendung und sollte bereits vor der Radiojodtherapie begonnen werden. Diese hat angesichts der meist exzellenten Prognose ihren Stellenwert vor allem in der Verbesserung der Selbstwirksamkeit und Lebensqualität, kann bei Müdigkeit und häufigem Frieren eine Hilfe sein und möglicherweise die negativen Auswirkungen der Radiojodtherapie positiv beeinflussen.
Es kommen Laubbaum-Mistelpräparate (vor allem Eiche- und Apfelmistel) der verschiedenen Hersteller zum Einsatz und werden der Lokalreaktion am Injektionsort entsprechend dosiert (kleiner 5 cm). Die Injektionen erfolgen in der Regel dreimal wöchentlich. Vor und während der Therapie sind die Temperaturkurven (morgendliche sublinguale Messung gegen 7 Uhr, abendliche Messung gegen 18 Uhr, Temperaturdifferenz ca. 0,5°) eine Hilfe. Die Rhythmisierung des Temperaturprofiles und damit der Wärmeorganisation des Patienten kann zur Unterstützung der Tagesaktivität beitragen und zu einem besseren Schlaf führen. Im Zusammenhang mit der Misteltherapie können sich Vitalität und damit die Lebensorganisation erholen (7, 8).

Körpertherapie, Pflege und übende Verfahren

Beim Schilddrüsenkarzinom wird die Eurythmietherapie empfohlen. Diese kann die oberen Wesensglieder in ihrer leibergreifenden Wirksamkeit verstärken und dadurch deren pathologischen Lösungsprozess im Zusammenhang der Karzinogenese entgegenwirken. Es kommt die Lautfolge
OEMLI(EI)BD
in Betracht.

Die Sprachtherapie hat bei den Schilddrüsenerkrankungen eine besondere Bedeutung. Kein anderes Organ ist so direkt und unmittelbar von den Lauten durchtönt als die direkt vor dem Kehlkopf liegende Schilddrüse. Ziel der Sprachtherapie ist nicht ein ggf. erforderlicher logopädischer Therapieauftrag, sondern die Unterstützung der leibergreifenden Wesensgliederwirksamkeit durch Vokale und Konsonanten. Eine wichtige Sprachübung, deren Bedeutung nicht im „Sinn“, sondern in der Abfolge von Vokalen und Konsonanten liegt, ist (9):

An Angegebenes sieh innig hin.
Wiege Wagnis wenig wegen Wogenwind.
Bete bittend und tue die Tat.
Gib biegend die Gabe ab.
Kein Nickel lasse sich auch im Kasten kleben.
Wenn wüstes Wasserstauen wenig wohl winkt wird winzig.
Errette redend den netten Retter redender Erdenrede.

In der vokalisch betonten ersten Zeile wird das seelische Erleben von den im Gaumenbereich gebildeten A über das E und schließlich I in den vorderen Mundbereich geführt. Die Vokalfolge führt aus dem Stoffwechselsystem (Gaumen des Mundraumes) über das Rhythmische System zum Nerven-Sinnessystem (der sensible vordere Bereich des Mundraums mit Lippen, Zähnen). Dabei hat die Vokalfolge A, E und I hat eine inkarnatorische Qualität: Die astralische Organisation kommt aus dem Umkreis und verbindet sich mit dem Organismus. Aus der staunend-träumenden Stimmung des A entwickelt sich ihr Erwachen und „Bei-sich-Sein“ mit dem E und I. Aus diesem entsteht die leibergreifende Willensaktivität der Ich-Organisation: Das W in der zweiten und spiegelbildlich sechsten Zeile gehört zu den wärmeverwandten Blaselauten. Die letzte Zeile dieser Übung betont das R. Dieser Laut steht durch seine „zitternde“ Bewegung im Luftraum mit der astralischen Organisation in Verbindung. Das R kann im Gaumen, aber auch mit der Zunge und schließlich mit den Lippen gebildet werden. Damit umgreift es die gesamte Dreigliederung und kann die astralische Organisation aus dem Nerven-Sinnes-System über das Rhythmische System in das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System führen (und umgekehrt). Durch die beschriebenen Vokal- und Konsonantenfolgen können sich die astralische und die Ich-Organisation verstärkt mit dem Organismus verbinden.

Wirksamkeit, Evidenz, Einzelfallberichte

Die Arzneimittelwahl und nichtmedikamentösen Therapieindikationen leiten sich konzeptionell aus dem anthroposophischen Krankheitsverständnis und dem daraus folgenden Therapiebedarf ab. Die Beurteilung der Wirksamkeit ergibt sich als interne Evidenz aus dem Therapieverlauf. Klinische Erfahrungen zu den einzelnen Arzneimitteln sind in der Fachliteratur und im Vademecum Anthroposophischer Arzneimittel verzeichnet (10).
Studien zur externen Evidenz dokumentieren Ergebnisse von Behandlungen an definierten Kollektiven, die in der Vergangenheit liegen. Als solche sind sie eine wertvolle Basis, um prospektiv die potenzielle Wirksamkeit einer therapeutischen Maßnahme in einer gegenwärtigen Anwendung einzuschätzen. Ob diese allerdings wie vermutet eintritt, muss – nicht zuletzt bei großer number needed to treat (NNT) – durch die ärztliche Beurteilung des Einzelfalles entschieden werden. Der Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit im aktuellen Behandlungsfall ist bereits früh von Rudolf Steiner gefordert worden (2). Kennt man die im Zusammenhang mit einer therapeutischen Maßnahme zu erwartende Wirksamkeit, so lässt sich im Falle ihres Nachweises in der Behandlung des Patienten die Wirksamkeit des Therapeutikums im Sinne der internen Evidenz feststellen:

„Und das ist so wichtig bei unserer Methode, dass wir nicht äußerlich probieren und durch Statistiken feststellen, sondern rationell voraussagen, was eintreten muss, und dass dann geprüft werden kann, schon im allerersten Stadium dessen, was eintritt, ob man tatsächlich die entsprechenden Wirkungen hervorbringt.“ (11)

„Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit“ (12, S. 126) ist Grundelement des Erkennens und erscheint hier in seiner Anwendung in der Wirksamkeitsbeurteilung einer therapeutischen Maßnahme. Das begriffliche Prinzip des Arzneimittels muss also in der klinischen Erfahrungswelt gefunden werden. Erst durch die Zusammenführung von Begriff und Wahrnehmung wird Evidenz im erkenntnistheoretischen Sinne erreicht (13), (14, S. 121-134). Dieser Ansatz liegt der von Helmut Kiene entwickelten Methodologie der Cognition-based Medicine zugrunde (15).

Literaturverzeichnis

  1. Girke M. Schilddrüsenkarzinom. In: Girke M. Innere Medizin. Grundlagen und therapeutische Konzepte der Anthroposophischen Medizin. 2. Aufl. Berlin: Salumed Verlag; 2012.
  2. Steiner R. Geisteswissenschaft und Medizin. GA 312. Vortrag vom 03.04.1920. 7. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1999.
  3. Reiners C, Dietlein M, Luster M. Struma maligna – Schilddrüsenkarzinome. Deutsche Medizinische Wochenschrift 2008; 133:2215-2228.
  4. Übersicht in: Hubold C, Buchmann I, Lehnert H. Therapie des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms. Deutsche Medizinische Wochenschrift 2011;136: 891-895.
  5. la Cour JL, Jensen LT, Vej-Hansen A, Nygaard B. Radioiodine therapy increases the risk of cerebrovascular events in hyperthyroid and euthyroid patients. European Journal of Endocrinology 2015;172:771-778.[Crossref]
  6. Lyer NG, Morris LG, Tuttle RM, Shaha AR, Ganly I. Rising incidence of second cancers in patients with low-risk (T1N0) thyroid cancer who receive radioactive iodine therapy. Cancer 2011;117(19):4439-4446.[Crossref]
  7. Weitere Informationen zur Misteltherapie stellt die Webseite www.mistel-therapie.de bereit.
  8. Vademecum Misteltherapie bei malignen Tumoren. Supplement Der Merkurstab; 2017 (im Druck).
  9. Denjean-von Stryk B, Unterbusch R. An Angegebenes sich innig hin. In: von Bonin D (Hg.) Materialien zur Therapeutischen Sprachgestaltung. Dornach: Verlag Förderstiftung Anthroposophische Medizin im Verlag am Goetheanum; 2008:106-115.
  10. Vademecum Anthroposophische Arzneimittel. 3. erw. Aufl. Supplement Der Merkurstab; 2013.
  11. Steiner R. Anthroposophische Menschenerkenntnis und Medizin. GA 319. 3. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1994.
  12. Steiner R. Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften. GA 1. 4. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1987.
  13. Steiner R. Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung. GA 2. 8. durchges. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 2003.
  14. Girke M. Wirksamkeitsnachweis und Nutzenbewertung in der Medizin. In: Girke M. Innere Medizin. Grundlagen und therapeutische Konzepte . 2. akt. und erg. Aufl. Berlin: Salumed Verlag; 2012.
  15. Kiene H. Komplementäre Methodenlehre der klinischen Forschung. Cognition-based Medicine. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag; 2001. Kostenlos verfügbar unter:

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

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