Maltherapie in Schwangerschaft und Geburtsvorbereitung

Bernadette Gollmer

Letzte Aktualisierung: 08.11.2018

Anthroposophische Maltherapie kann geistig-seelische Aspekte der werdenden Mutter, begleitend von weiteren anthroposophischen Komplexbehandlungen, stärken (1). Insbesondere bei Störungen wie Hyperemesis gravidarum in der Frühschwangerschaft, vorzeitigen Wehen vor der 36. Schwangerschaftswoche, Angst vor der Geburt oder zur Unterstützung in der Geburtsvorbereitung kann ärztlich verordnete Maltherapie angewandt werden. Erfahrungen zeigen, dass Schwangere durch aktives und begleitetes Malen funktionelle Entspannung erleben und Zugang zu schwierigen Emotionen erfahren. Maltherapie wird zu einem Katalysator für den Heilungsprozess (2, 3, 4, 5).

Die anthroposophische Maltherapie hat in der Schwangerschaft eine beruhigende und ausgleichende Wirkung. Auf physiologischer Ebene kann die Maltherapie aktivierend und ausgleichend auf die Organtätigkeiten wirken. Seelische Vorgänge können durch Visualisierung und Farbempfinden wahrgenommen, vertieft oder neu angeschaut werden. Freie Farbbewegungen wirken ermutigend auf die Gefühlswelt. Emotionen von belastenden Situationen lösen sich und Raum für eine festigende Bindung zum Kind entsteht. Dabei ist es uns ein Anliegen, dass die Art und Weise der Farberscheinungen in ihrer Gesetzmässigkeit den schöpferischen Kräften entsprechen, die im Menschen wirken. So werden die Farben ihrer Wesenheit entsprechend eingesetzt. Die hier vorgestellte Maltherapie gründet auf der Methode „Licht, Finsternis und Farbe“ (6, 7). Sie geht von einer Entsprechung der Farben in unserer atmosphärischen Umwelt zu den Gefühlen im Innern des Menschen aus. Die durch die äusseren Farben angeregte Sinneswahrnehmung bildet einen inneren Regenbogen von Gemütsstimmungen und Gemütsbewegungen und geben der Seele Raum und Innerlichkeit.

Indikationen für Maltherapie in der Schwangerschaft

Hyperemesis gravidarum

Die Übelkeit beeinträchtigt die Frauen im Alltag stark. Bei fortgesetztem Erbrechen und Gewichtsverlust müssen sie hospitalisiert werden. Bis heute werden verschiedene Erklärungen statt einer allen Betroffenen gemeinsame Ursache genannt. Die komplementärmedizinischen Anwendungen und die anthroposophische Maltherapie sind einfache Mittel, auf die Befindlichkeit der schwangeren Mutter einzuwirken.

  • Viridiangrün oder Smaragdgrün lässt die Kraft des an sich unsichtbaren Lichts in der sichtbaren Farbenwelt erscheinen. Die grünweissliche Farbe wirkt sich erdend aus, die belastende Übelkeit verdrängend. Da sich dieses Grün nicht aufdrängt wie Rot oder ausweicht wie Blau, ist es die ideale Farbe zentrierend und gefühlsneutral zu wirken.

Abb. 1: Viridian gemalt. © Bernadette Gollmer  

Vorzeitige Wehen

Die schwangere Mutter muss sich wegen frühzeitiger Wehentätigkeit aus dem Alltagsprozess zurückziehen, denn die Kontraktionen gefährden die letzten Schwangerschaftswochen. Eventuell wird durch Hebammen oder Ärzte ein stationärer Aufenthalt empfohlen. Neben weiteren komplementärmedizinischen Anwendungen wie Heileurythmie oder Rhythmische Massage, bietet die Maltherapie in dieser Situation Zeit und Raum für das Wahrnehmen von Gefühlen und Weite im eigenen Körper.

  • Lichtvolles Malen schafft Raum. Wie der Blick in eine weite Landschaft den Atem befreien kann, löst Kobaltblau von Gefühlsenge und Druck. Kobaltblau ist das unerreichbare Himmelblau des sonnigen Tages oder das Herz der kleinen Kerzenflamme. Auf maltherapeutischer Ebene bildet Kobaltblau die schützende Hülle eines lichtvollen Innenraumes, gleichzeitig weist es auf den aktuellen Standpunkt hin: „Vergiss mich nicht“.

Abb. 2: Kobalt gemalt. © Bernadette Gollmer

Wachstumsverzögerung

Bei Verdacht auf Wachstumsverzögerungen können neben der klinischen Ursachenabklärung Farben nährend und fliessend eingesetzt werden. Sie schaffen der schwangeren Mutter eine Möglichkeit, mit den Gefühlen in einer unsicheren Situation zurecht zu kommen. Jeder weitere Tag der Ruhe und Zuversicht birgt Wachstumschancen für das Kind. Die Farben bieten «Nahrung» für Körper, Geist und Seele. Die vielfarbige Welt der Seele wird therapeutisch so angeregt, dass die abbauenden Kräfte des (Bewusstseins-)Lichtes von den aufbauenden Kräften des unbewussten Metabolismus ausgeglichen werden.

  • Die verschiedenen roten, orangen, gelben Farben haben Affinität zu Kräfteaufbau. Sie unterhalten den Organismus.

Malen in der Geburtsvorbereitung

Ein Geburtsvorbereitungskurs der Hebammen bietet sich geradezu an, die Bindung zum Kind zu festigen.  
Neben solchen Kursvorbereitungen können Farben angeboten werden, um einen Willkommensgruss der sich vorbereitenden Eltern für das Kind zu malen. Diese Bilder stellen wie eine Brücke die persönliche Beziehung der Mutter und des Vaters zum Kind dar. Nach meiner oftmaligen Erfahrung nehmen die Eltern mit grossem Respekt gegenüber dem sichtbar gewordenen Unsichtbaren die Bilder am Ende des Kurses mit nach Hause.

Abb. 3 bis 5: Gemalter Willkommensgruß werdender Eltern. © Bernadette Gollmer

Geburtsanregung mit maltherapeutischer Begleitung

Eine Geburtsanregung mit maltherapeutischer Begleitung unterstützt die anthroposophisch-medizinische Komplextherapie zur Geburtseinleitung (8). Mutter und Vater sind eingeladen einen Willkommensgruss für ihr Kind zu malen. So taucht das Paar über ein künstlerisches Mittel in einen schöpferischen Prozess ein, den die Mutter im Lebendigen erlebt. Das Malen möchte eine Einladung sein, nochmals auf die Schwangerschaft zurückzublicken und der einmalig intimen Zeit mit dem Kind Ausdruck zu geben.

Die Mutter hat für ihr Bild drei Farben zur Verfügung: Zinnoberrot mit seinem Charakter von schneller Bewegung und überwältigender Farbkonzentration, Gelb, strahlend wie Licht und Indigo, gedämpft durch Wärme und intensive Farbpigmente. Ist eine Begleitperson dabei, ist dies eine Gelegenheit, der Beziehung zum Kind nonverbal Raum zu geben, hier steht die ganze Farbreihe zur Verfügung.

Nach etwa zwanzig Minuten wird die Mutter gebeten, eine geführte Übung mit den drei erwähnten Farben durchzuführen. Die Therapeutin führt Schritt für Schritt durch die Einleitungsübung. Aus dem freien Bild der Mutter wandelt sich ein Impuls aus dem übergeordneten kraftvollen Wunsch des Kindes, das Licht der Welt zu erblicken. Bildlich ist das Kind einbezogen, tatkräftig die Geburt mitanzuregen. Wie bewegt sich das Kind bei diesem Prozess? Wie fühlt sich der Bauch an? Neugierig auf den weiteren Prozess, aber auch gelassen und vertrauend darauf, dass das Kind mithelfen und die Geburt einen guten Verlauf nehmen wird, schliesst sich die Malstunde ab. Sehr häufig äussert sich die Mutter bereichert um diesen vorbereitenden Blick auf das kommende Geburtsgeschehen. Ist eine Begleitperson dabei, zieht sich die Therapeutin zurück und überlässt dem Paar den Raum für einen intimen verbalen Austausch über ihre Bilder und die Gedanken dazu.

Malerisches Beispiel:

Abb. 6: Bild einer Mutter. © Bernadette Gollmer 

Abb. 7: Anregung zur Geburt. © Bernadette Gollmer 

Zur Methode „Licht, Finsternis und Farbe“ nach Liane Collot d’Herbois

Die eingesetzte Maltherapie gründet auf der Methode „Licht, Finsternis und Farbe“. Liane Collot d’Herbois setzt die Entsprechung der Farben im Äußern in freier atmosphärischer Farbe zu den Gefühlen im Innern des Menschen:

Welt                      -              Mensch
Licht                     -              Spiritualität/Bewusstsein/Ich/Abbau/Impulskraft
Farbe                    -              Leben/ Gefühlswelt/Innerlichkeit/Raum
Finsternis            -              Körper/Wachstum/Aufbau/Wärme/Bewegung

Tab. 1: Übersicht zur Methode Licht, Finsternis und Farbe

Therapeutischer Ansatz

Farbqualität

Wirkung in der Seele

Wirkung im Körper

Farben vor dem Licht

Magenta, Karminrot, Zinnober, Orange, Gelb, Gelbgrün

Innerlich wärmend
Bewegung anregend
Vorstellungen lösend
Dynamisierend

Substanz aufbauend und umwandelnd, unterstützt die Prozesse in den Organen, Verhärtungen lösend

Farben hinter dem Licht

Türkis, Kobaltblau, Indigo, Violett

Gefühle klärend, ordnend
Umkreis bilden
Distanz einnehmen und sich Zeit nehmen
Einen Standpunkt haben
Hingabe, sich verbinden, all-eins sein

Bildet die physiologische Grundlage aller Hohlorgane, der Haut und des Nervengewebes
Ausatmung,
Unterstützt die Sinneswahrnehmung,

Farbe im Licht

Viridiangrün

Verbinden mit Ich-Bewusstsein
Sich Aufrichten
Sich Zeit lassen
Bezug zum Denken

Aufrechte Wirbelsäule

Literaturverzeichnis

  1. Kloter E, Wolf U. Anthroposophische Komplextherapie bei Patientinnen mit Hyperemesis gravidarum in der Frühschwangerschaft. In: Jahresbericht des Instituts für Komplementärmedizin an der Universität Bern 2017.
  2. Wahlbeck H, Kvist LJ, Landgren K. Gaining hope and self-confidence. An interview study of woman’s experience of treatment by art therapy for severe fear of childbirth. Women and Birth 2018;31(4):299–306.[Crossref]
  3. Löffler B, Böhme U. Begleitetes Malen nach Egger et Stern – der kunsttherapeutische Umgang Risikoschwangerer mit ihren Ängsten. Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie 2015;219(S01) - P01 2.[Crossref]
  4. Herborn E, Kentenich H. Kunsttherapie in der Geburtshilfe. Die Hebamme 2000;2:89-92.
  5. Saltuari P. Kunsttherapie in der Schwangerschaft – qualitativ-empirische Untersuchung von kunsttherapeutischen Interventionen bei Risikoschwangeren in den Städtischen Kliniken Höchst am Main. Dissertation im Fachbereich Geisteswissenschaften (Fach Kunstwissenschaft) der Universität Duisburg-Essen 2009.
  6. Collot d’Herbois L. Licht, Finsternis und Farbe in der Maltherapie. Dornach: Verlag am Goetheanum 1993.
  7. Collot d’Herbois L. Colour. Stuttgart: SchneiderEditionen 2016.
  8. Kloter E, Wolf U. Anthroposophisch-medizinische Komplextherapie zur Geburtseinleitung. In: Jahresbericht des Instituts für Komplementärmedizin an der Universität Bern 2017.

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

Weiterführende Informationen zur Anthroposophischen Medizin