Zur Entwicklung von Biodiversität und Vielfalt in der mitteleuropäischen Kulturlandschaft

Jakob Marti
Artikel-ID: DMS-21634-DE
DOI: https://doi.org/10.14271/DMS-21634-DE

  • Anmelden
  • Zugang erhalten
  • Export Citation

Nirgendwo in der Welt gab es eine so artenarme Vegetation wie in Mitteleuropa nach der letzten Eiszeit, obwohl von geologischer Seite alle Voraussetzungen für größte Artenvielfalt gegeben waren. Wie konnte sich aus diesen Ausgangsbedingungen eine vielgestaltige Landschaft mit einer markanten Zunahme der Pflanzenvielfalt und Biodiversität entwickeln? Grundlage war die Einführung der bäuerlichen Lebensweise mit Ackerbau und Viehhaltung als Quelle einer Bodenfruchtbarkeit, die sich nur in Mitteleuropa über Jahrtausende erhalten konnte. Der Artikel zeichnet die Entwicklung von der neolithischen Revolu tion über die Verbreitung der Dreifelderwirtschaft im Zusammenhang mit der Welle von Stadtgründungen und der Bildung der dörflichen Wirtschafts- und Sozialform im Hochmittelalter und dem Beitrag des Zisterzienserordens nach. Die für die Bildung von Vielfalt entscheidenden Kultur- und Sozialprozesse vollziehen sich dabei in einer ungewöhnlich kurzen Zeit.

Im 20. Jahrhundert setzt jedoch eine gegenteilige Entwicklung ein: Der Eingriff des Menschen in die Ökosphäre führt nun zu einem beispiellosen Rückgang der Biodiversität, zur Auflösung der bäuerlichen Lebensform und zur Verarmung der Landschaft, parallel mit der Verarmung des Mikrobioms des Menschen und der Erde. Wir befinden uns jetzt in einer neuen Epoche der Verarmung mit großflächigen Wüstungsprozessen. Der damit einhergehende Verlust an Resilienz der Ökosphäre trifft dabei auf eine wachsende Belastung durch den Klimawandel. Dramatische Statistiken allein vermögen aber offenbar nicht die Willensimpulse für eine nachhaltige Umgestaltung von Wirtschaftsform und Lebensstil auszulösen. Eine Quelle kann jedoch die intensive Erfahrung von Verarmung zum Beispiel in der Form von Landschaftswanderungen sein. – Ein Schlüssel für die künftige Entwicklung von Landwirtschaft und Medizin könnte im Prinzip der Individualisierung des Organismus liegen.

On the development of biodiversity and diversity in the Central European cultural landscape

Nowhere in the world was vegetation as species-poor as in Central Europe after the last ice age, although geologically all the prerequisites for the greatest diversity of species were given. How was it possible for a diverse landscape with a marked increase in plant diversity and biodiversity to develop from these initial conditions? The basis was the introduction of the rural way of life with agriculture and animal husbandry as the source of a soil fertility that could only be maintained in Central Europe over thousands of years. The article traces the development from the Neolithic Revolution to the spread of three-field farming in connection with the wave of town foundations and the formation of the village economic and social form in the High Middle Ages and the contribution of the Cistercian Order. The cultural and social processes that were decisive for the formation of diversity took place in an unusually short period of time.

In the 20th century, however, a contrary development set in: Human intervention in the ecosphere is now leading to an unprecedented decline in biodiversity, the dissolution of the peasant way of life and the impoverishment of the landscape, in parallel with the impoverishment of the human and earth microbiome. We are now in a new epoch of impoverishment with large-scale desertification processes. The concomitant loss of resilience of the ecosphere meets a growing burden of climate change. Dramatic statistics alone, however, are obviously not able to trigger the will impulses for a sustainable transformation of economic form and lifestyle. One source, however, can be the intensive experience of impoverishment, for example in the form of landscape walks. – A key for the future development of agriculture and medicine could lie in the principle of individualising the organism.

1 Küster H. Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa. Von der Eiszeit bis zur Gegenwart. Sonderausgabe. München: C. H. Beck Verlag; 1999.

2 Rösener W. Bauern im Mittelalter. 4. Aufl. München: C. H. Beck Verlag; 1991.

3 Johanek P. Die Wurzel der europäischen Planstadt im Mittelalter. Zeitschrift für Weltgeschichte 2019;20(1):39–62. DOI: https://doi.org/10.3726/ZWG0120195. [Crossref]

4 Cistopedia: Encyclopaedia Cisterciensis. Monasteries in chronological order. Verfügbar unter https://www.cistopedia.org/index.php?id=547&L=94 (02.01.2023).

5 Rösener W. Tradition und Innovation im hochmittelalterlichen Mönchtum. Kontroversen zwischen Cluniazensern und Zisterziensern im 12. Jahrhundert. In: Schmidt HJ (Hg). Tradition, Innovation, Invention: Fortschrittsverweigerung und Fortschrittsbewusstsein im Mittelalter. Berlin, Boston: De Gruyter; 2005: 399–421. Verfügbar unter https://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a136460.pdf (02.01.2023).

6 Hornberger T. Die kulturgeographische Bedeutung der Wanderschäferei in Süddeutschland: süddeutsche Transhumanz. Forschungen zur deutschen Landeskunde 109. Remagen: Selbstverlag der Bundesanstalt für Landeskunde; 1959.

7 Idel A. Die Kuh ist kein Klima-Killer. Wie die Agrarindustrie die Erde verwüstet und was wir dagegen tun können. 8. Aufl. Marburg: Metropolis-Verlag; 2021.

8 Poschlod P, Bonn S, Kiefer S, et al. Die Ausbreitung von Pflanzenarten und -populationen in Raum und Zeit am Beispiel der Kalkmagerrasen Mitteleuropas. Berichte der Reinhold-Tüxen-Gesellschaft 1997;9:139–157. Verfügbar unter https://www.zobodat.at/pdf/Ber-Reinh-Tuexen-Ges_9_0139-0157.pdf (02.01.2023).

9 Poschlod P, Bonn S. Changing dispersal processes in the central European landscape since the last ice age: an explanation for the actual decrease of plant species richness in different habitats? Acta botanica neerlandica 1998;47(1):27–44. Verfügbar unter https://natuurtijdschriften.nl/pub/541120 (02.01.2023).

10 Henrichs A. Als Landwirt in Schlesien. 5. Aufl. Frankfurt a. M.: DLG-Verlag; 2008.

11 Steiner R. Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft (Landwirtschaftlicher Kurs). GA 327. 8. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1999.

12 Menhard M, Kartusch H. Winzerleben in der Südsteiermark. Leutschach/Wien: Unveröffentlichte handschriftliche Notiz; 2014.

13 Elsneg UA. Kulturlandschaftsdynamik in der Südsteiermark. Masterarbeit an der Universität Graz; 2017. Verfügbar unter https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/1794699 (02.01.2023).

14 Verfügbar unter https://lucascranach.org/de/DE_ESKStMW_NONE-ESKStMW012 (02.01.2023).

15 Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, et al. More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLOS ONE 2017. DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809. [Crossref]

16 Lingenhöhl D. Vogelsterben: Es ist etwas faul im ländlichen Raum. Verfügbar unter https://www.spektrum.de/kolumne/europas-vogelwelt-ist-im-sinkflug-vor-allem-im-laendlichen-raum/1620014 (24.01.2019).

17 Lingenhöhl D. Vogelsterben: Der stille Frühling wird erneut Realität. Verfügbar unter https://www.spektrum. de/kolumne/der-stille-fruehling-wird-erneutrealitaet/1553550 (21.03.2018).

18 Baumgartner B. Das Artensterben im Bauch. Unser Lebensstil zerstört die Vielfalt der Darmflora. Eurac Research. Verfügbar unter https://www.eurac.edu/de/magazine/das-artensterben-im-bauch (20.01.2020).

19 Hahne D. Mikrobiom und intestinale Gesundheit: Eine hohe Diversität von Darmbakterien ist günstig. Deutsches Ärzteblatt 2017;114(5):A222–223. Verfügbar unter https://www.aerzteblatt.de/archiv/186107/Mikrobiom-und-intestinale-Gesundheit-Eine-hohe-Diversitaet-von-Darmbakterien-ist-guenstig (02.01.2023).

20 Fitger R. Mikrobiom und Gehirn. Der Merkurstab. Zeitschrift für Anthroposophische Medizin 2021;74(2):130–148. DOI: https://doi.org/10.14271/DMS-21333-DE. [Crossref]

21 Leuthner A. Umwelt. Das Elend am Wegesrand. Verfügbar unter https://www.sueddeutsche.de/muenchen/ebersberg/umwelt-das-elend-am-wegesrand-1.3503107 (12.05.2017).

22 Busse T. Die Wegwerfkuh. Wie unsere Landwirtschaft Tiere verheizt, Bauern ruiniert, Ressourcen verschwendet und was wir dagegen tun können. 2. Aufl. München: Karl Blessing Verlag; 2015.

23 Kay S. Land grabbing and land concentration in Europe. A Research Brief. Amsterdam: Transnational Institute for HOTL;2016. Verfügbar unter https://www.tni.org/files/publicationdownloads/landgrabbingeurope_a5-2.pdf (02.01.2023).

24 Bockemühl J. Lebt die Welt in mir? Wahrnehmungs- und Besinnungsübungen zum Entwickeln von Verantwortungsfähigkeit im täglichen Leben. Dornach: Forschungsinstitut am Goetheanum; 2010.

25 Verfügbar unter https://www.kardiologie-im-zentrum.de/wp-content/uploads/2009/09/KIZ_stress_einlegeblatt_web.pdf (02.01.2023).

26 Fuchs N. Evolutive Agrarkultur. Landwirtschaft nach dem Bildprinzip des Menschen. Eine Skizze. Darmstadt: Verlag Lebendige Erde Demeter e. V.; 2014.

Stellenmarkt

PRAXIS FÜR ALLGEMEIN- UND FAMILIENMEDIZIN, FILDERSTADT
Facharzt oder WB-Assistenzarzt Innere/Allgemeine Medizin (m/w/d)
Weitere Informationen

PARACELSUS-KRANKENHAUS,
BAD LIEBENZELL-UNTERLENGENHARDT
Arzt in Weiterbildung (m/w/d)
Innere Medizin/Allgemeinmedizin
Weitere Informationen

KANTONSSPITAL AARAU/SCHWEIZ
Assistenzarzt oder Oberarzt Integrative Onkologie (m/w/d)
Weitere Informationen

PRAXIS KIKOMED, AARAU/SCHWEIZ
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin (m/w/d)
Facharzt für Allgemeine Innere Medizin (m/w/d)

Weitere Informationen