Allergologie

Einführung

Christof Schnürer

Letzte Aktualisierung: 17.05.2017

Aspekte zur Allergie aus Sicht der Anthroposophischen Medizin

Die Ursache für die unbestrittene Zunahme allergischer Erkrankungen in den letzten 40-50 Jahren ist letztlich unklar. Als wesentliche Einflussgröße haben die Epidemiologen den „westlich industrialisierten Lebensstil“ ausgemacht. Was aber ist das? Was daran begünstigt atopische Erkrankungen? Hierzu gibt es gesichert erscheinende und viele vermutete Zusammenhänge, die – wie Säuglingsernährung, Feinstäube und Dieselabgase – breit diskutiert werden (1). Zu unserem Lebensstil gehören aber weitere Bedingungen: veränderte Tages-, Jahres- und Essrhythmen sowie industriell zubereitete, denaturierte (Fertig-)Kost mit einer Vielzahl von Zusatzstoffen, erzeugt von einer rationalisierten, monotonisierten, mit Herbizid und Insektizid angereicherten Landwirtschaft. Welchen Einfluss hat unser Wohnumfeld, z.B. kurzwellige Strahlungen, Baustoffe, Luftaustausch, synthetische Stoffe in Möbeln und Kleidung? Wie kränkend wirken Ängste gegenüber Fieber und Infektion und der breite Einsatz von Antibiotika, Antipyretika und Desinfektiva? Studien weisen auf entsprechende, Allergie begünstigende Effekte hin (1-3). Antibiotika und Nahrungsgewohnheiten greifen in komplexe Ökosysteme (Mikrobiome) ein. Das sind Lebenszusammenhänge, die für unsere Immunkompetenz überlebenswichtig sind und deren Veränderungen auch für die Genese überschießender, allergischer Reaktionen von Bedeutung sein dürften. Verändert werden die differenzierte Flora und Fauna auf Schleimhäuten und Haut – auch auf den bisher als keimfrei angesehenen Atemwegen – und damit die vielfältigen austarierten Gleichgewichte in den Beziehungen des Menschen zu dem ihn umgebenden Leben.
Vergeblich wird man nach der einen Ursache für die Allergieepidemie suchen. So gibt es neben den bereits genannten viele weitere Bedingungen, die sich in den letzten Jahrzehnten teils dramatisch verändert haben; an die der Mensch sich nicht über Jahrtausende hat anpassen können und von denen deswegen niemand sagen kann, dass sie nicht pathogen und zumindest zu „allergenen Kofaktoren“ werden können. So ergab eine groß angelegte Studie einen Zusammenhang zwischen Erziehungs- und Lebensstil in Schule und Familie und dem Allergierisiko (4-6). Dabei sind als Einflussgrößen unter anderem zu diskutieren: Lehrinhalte und ihre Vermittlung, Kreativschulungen, musikalische Schulungen und Bewegungsschulungen, der Umgang mit (einem heute ansonsten üblichen Übermaß an) Medien und Sinnesreizen sowie mit (Infektions-)Krankheiten, Nahrungs- und Genussmitteln. All das sind Bedingungen, die sich in unterschiedlichem Ausmaß in Körper und Seele einschreiben können und für die erheblich erhöhten Atopierisiken in Allergikerfamilien mindestens genauso bedeutsam sein dürften wie die viel zitierten Gene (1).

Individuelle Prophylaxe und Therapie

Eine individuelle Prophylaxe und Therapie kann mit dem Einleben in die Jahreszeiten, die Natur und ihre Lebensrhythmen beginnen. Dazu gehören: Erleben und Gestalten der Tages-, Wochen- und biografischen Rhythmen, meditative Vertiefungen und künstlerische Bewegungen (im weitesten Sinne). Betroffene werden (für sich und gegebenenfalls die Kinder) nicht darum herumkommen, Allergieauslöser und ihre Zusammenhänge zu erfassen und die Prophylaxefaktoren zu berücksichtigen. Das umso mehr, je ausgeprägter das Beschwerdebild oder die Erkrankungsrisiken sind. Allergiker, die ihre Aufmerksamkeit und ihre (Natur-)Wahrnehmung geschult haben, kennen „ihre“ Saison. Da mag es bei manchem ausreichen, sich mit Taschentüchern einzudecken, gefährdete Tageszeiten und Orte zu meiden, gegebenenfalls gezielt zu Medikamenten zu greifen oder/und eine Hyposensibilisierung einzuleiten.

Der gesamte Artikel ist verfügbar unter Schweizerische Zeitschrift für Ganzheitsmedizin 2017;29:82-85. https://doi.org/10.1159/000464109 .

Literaturverzeichnis

  1. Schäfer T, Bauer C-P, Beyer K, Bufe A, Friedrichs F, Gieler U, Gronke G, Hamelmann E, Hellermann M, Kleinheinz A, Klimek L, Koletzko S, Kopp MV, Lau S, Müsken H, Reese I, Schmidt S, Schnadt S, Sitter H, Strömer K, Vagts J, Vogelberg C, Wahn U, Werfel T, Worm M, Muche-Borowski C. S3-Leitlinie Allergieprävention – Update 2014. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) und der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKI). Allergo Journal International 2014;23:186-199. DOI: https://doi.org/10.1007/s40629-014-0022-4.
  2. Foliaki S, Pearce N, Björkstén B, Mallol J, Montefort S, von Mutius E, International Study of Asthma and Allergies in Childhood Phase III Study Group. Antibiotic use in infancy and symptoms of asthma, rhinoconjunctivitis, and eczema in children 6 and 7 years old: International Study of Asthma and Allergies in Childhood Phase III. Journal of Allergy and Clinical Immunology. 2009;124(5):982-989. DOI: https://doi.org/10.1016/j.jaci.2009.08.017.
  3. Newson RB, Shaheen SO, Chinn S, Burney PG. Paracetamol sales and atopic diseases in children and adults: an ecological analysis. European Respiratory Journal 2000 ;16(5):817-823.
  4. Alm JS, Swartz J, Lilja G, Scheynius A, Pershagen G. Atopy in children of families with an anthroposophic lifestyle. Lancet 1999;353(9163):1485-1488. DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(98)09344-1.
  5. Flöistrup H, Swartz J, Bergström A, Alm JS, Scheynius A, van Hage M, Waser M, Braun-Fahrländer C, Schram-Bijkerk D, Huber M, Zutavern A, von Mutius E, Ublagger E, Riedler J, Michaels KB, Pershagen G, Parsifal Study Group. Allergic disease and sensitization in Steiner school children. Journal of Allergy and Clinical Immunology 2006;117(1):59-66. DOI: https://doi.org/10.1016/j.jaci.2005.09.039.
  6. Flöistrup H, Swartz J, Bergström A, Alm JS, Scheynius A. Allergien und Sensibilisierung bei Waldorfschülern. Der Merkurstab 2006 ;59(4):308-315. DOI: https://doi.org/10.14271/DMS-18926-DE.

Neues aus der Forschung

Misteltherapie in Ergänzung zur Standard-Immunbehandlung bei Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs weist auf verbesserte Überlebensrate hin
Die Immuntherapie mit PD-1/PD-L1-Inhibitoren hat die Überlebensraten von Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) erheblich verbessert. Die Ergebnisse einer Studie mit realen Daten (RWD), in der die zusätzliche Gabe von Viscum album L. (VA) zur Chemotherapie untersucht wurde, haben einen Zusammenhang mit dem verbesserten Überleben von Patienten mit NSCLC gezeigt - und zwar unabhängig von Alter, Metastasierungsgrad, Leistungsstatus, Lebensstil oder onkologischer Behandlung. Zu den Mechanismen gehören möglicherweise synergistische Modulationen der Immunantwort durch PD-1/PD-L1-Inhibitoren und VA. Diese Ergebnisse weisen auf die klinische Bedeutung einer zusätzlichen VA-Therapie hin; sie besitzen jedoch naturgemäss Limitationen, da es sich um eine nicht-randomisierte Beobachtungsstudie handelt. Die Studie ist in Cancers frei zugänglich publiziert: 
https://doi.org/10.3390/cancers16081609.

 

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