Therapeutische Sprachgestaltung bei Dyspnoe

Matthias Girke, Dietrich von Bonin

Letzte Aktualisierung: 11.04.2019

Die Therapeutische Sprachgestaltung (1) hat eine physiologische, seelische und geistige Wirksamkeit. Sie wird in der Therapie der Dyspnoe eingesetzt und kann deren körperliche, seelische und geistige Dimensionen ansprechen. Therapeutische Sprachgestaltung wird in Abhängigkeit von dem Allgemeinzustand aktiv vom Patienten ausgeführt oder durch aufmerksames Zuhören von ihm aufgenommen und dadurch wirksam. In den Lauten und im Wort werden geistige Prinzipien in die Ich-Tätigkeit der menschlichen Sprache aufgenommen, die das gesamte Wesen des Menschen durchtönen. Während in der Heileurythmie die Laute als sichtbare Sprache den Bewegungen der Lebensorganisation entsprechen und auf diese wirken, tönen die gesprochenen Laute über den Luftorganismus in die im Flüssigen wirkende ätherische Organisation. Der den gesamten Organismus durchziehende Luftorganismus wird dabei durch die Lautbildung spezifisch gestaltet (2). Dabei lässt jeder Laut eine Formgestalt im Luftraum entstehen. Diese prägt die ätherische Organisation und führt damit zur physiologischen Wirksamkeit der Therapeutischen Sprachgestaltung. Für die Therapie ist demzufolge weniger der Sinn einer Lautfolge entscheidend, sondern diese spezifische Lautwirksamkeit (3). Die meisten therapeutischen Lautfolgen und Übungen haben dementsprechend keinen vordergründigen textlichen Sinn. Neben der leiblichen Wirksamkeit steht die Sprache mit dem seelischen Erleben in Beziehung. In den Worten lebt nicht nur Information, sondern ein „erfühlter“ Sinn. So klingen die Worte für ein und denselben Begriff in den verschiedenen Sprachen sehr unterschiedlich. Schließlich kommen Sprüche und Meditationstexte als geistige Inhalte in der Therapeutischen Sprachgestaltung zur Anwendung. Durch sie kann der Patient neue Perspektiven entwickeln und innere Kraftquellen erschließen.

Therapeutische Empfehlungen

  • Das belastende Schweregefühl in der Dyspnoe kann durch anfängliche Bewegungsübungen (je nach Patientensituation klein beginnend) mit anschließender sprachorientierter Atmung gebessert werden, z. B. durch Übungen wie
    „Ach“ oder auch „Uff“.

  • Mit dem F kann die Ausatmung unterstützt werden.
    F ausatmen und dabei einen ruhigen Wind, der über das Wasser streicht, imaginieren.
    Am Ende ein kleines t artikulieren, um das Zwerchfell abzuspannen mit anschließender Pause.
    Ähnlich wie das F kann auch das W intoniert werden, wodurch noch die Stimme dazu kommt.
    Hilfreich ist des Weiteren die Lautfolge F – S – SCH.

  • Bei Störungen der Ausatmung wie z. B. obstruktiver Ventilationsstörung – beispielsweise COPD – können Laute mit schmaler Mundstellung („Lippenbremse“) hilfreich sein, um die Atmung und Stimme im Laut zu zentrieren: 
    Mut machen mir mutige Menschenmassen (mit Betonung des M)
    Besonders wirksam ist ein Hexametertext.
    Er wirkt durch seinen Rhythmus unmittelbar auf die Atmung. Er kann auch nur hörend und mit begleitender rhythmischer Berührung aufgenommen werden.

  • Fast immer führt eine Dyspnoe zu latenter Hyperventilation. Dies muss bei allen Übfolgen berücksichtigt werden.
    Die Konsonantenfolge: K – L – S – F – M eignet sich besonders,
    um die Ausatmung stufenweise zu verlängern, in dem zuerst nur K gesprochen wird, dann K-L usw. bis zur ganzen Lautfolge.
    Eine anspruchsvolle Atemübung Rudolf Steiners ist ganz auf diese Situation ausgerichtet (4):
    Ich atme Kraft des Lebens

  • Zur Kräftigung der Ein- und Ausatmung:
    Die Reihenfolge der Vokale A – E – I – O – U spricht die Ein- und Ausatmung an.
    Sie kann mit verschiedenen Konsonanten artikuliert werden:  DA DE DI DO DU, TA TE TI TO TU, NA NE NI NO NU usw. Dadurch wird die angespannte Atmung gelöst und in die Ausatmung geführt. Diese Lautfolgen können durch den Daktylus rhythmisiert werden. Es ist darüber hinaus hilfreich, mit N und dem Vokal O zu tönen. Der Stimmanteil wirkt im O beruhigend.

  • Bei kardial bedingter Dyspnoe kann die „Herzübung“ nach Christa Slezak-Schindler angewandt werden:
    T (von der Zungenspitze aus in den Atem einschlagen lassen), mit AU einen Innenraum bilden und diesen mit H durchwärmen: TAUH, dann umgekehrt: HAUT.

  • Der in der Dyspnoe veränderte Atemrhythmus wird durch rhythmische Sprachübungen harmonisiert, z. B. durch
    den Daktylus ( ), Hexameter, Trochäus ( ) und den Amphimacer ( ).
    Besonders bewährt ist das tönende Sprechen der Silbe OM.
    Dabei muss, im Gegensatz zu östlichen Methoden, der Stimmansatz weit nach vorne verlegt werden. Beim O umschliesst der Mundraum eine imaginäre Kugel bei empfangender Geste. Das M verströmt bis zum Atemende, begleitet mit einer horizontal in die Weite führenden Gebärde.

  • Bei allen Verkrampfungen im Zwerchfell (Hochstand) hat sich diese Silbenfolge bewährt und kann sogar eine beginnende Asthmaattacke auflösen:
    ABRACADABRA mit federndem Sprechen jeder Silbe.
    Der Vokal A weitet am stärksten die Atemwege und wird von einer typischen, konsonantenbegleitenden Gebärde eingeleitet.

  • Durch Sprüche und Meditationstexte kann eine geistige Kraftquelle erschlossen werden, die für den mit Sinn- und Perspektivfragen ringenden Patienten zu einer Hilfe werden, z. B.:

    Ein Atemzug aus der Geisterwelt ist
    Was im Erwachen in den Leib
    Was im Einschlafen aus dem Leib
    Als Wesen des Ich erströmend
    Erlebt sich im Wechselsinn des Daseins.

    Im Atmen des Geisterwebens bin ich
    Wie Luft ist im Lungenleibe
    Nicht Lunge bin ich; nein Atemluft
    Doch Lunge ist, was weiß von mir:
    Erfass ich dies – erkenne ich
    Mich im Geist der Welt. –

    Rudolf Steiner (5, S. 71)

Literaturverzeichnis

  1. Denjean B, von Bonin D: Therapeutische Sprachgestaltung. 2 Aufl. Stuttgart: Urachhaus; 2003.
  2. Maintier S. Sprache – die unsichtbare Schöpfung in der Luft. Forschung zur Aerodynamik der Sprachlaute. Hamburg: Verlag Dr. Kovač; 2014.
  3. von Bonin D, Gutschner P. Wirkprinzipien der Therapeutischen Sprachgestaltung. Der Merkurstab 2012;65(1):18-24.
  4. von Bonin D (Hrsg.) Materialien zur Therapeutischen Sprachgestaltung. Dornach: Förderstiftung Anthroposophische Medizin im Verlag am Goetheanum; 2008.
  5. Steiner R. Mantrische Sprüche. Seelenübungen II. GA 268. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1999.

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