Die Milzeinreibung als verdauungsanregende Anwendung der Rhythmischen Massage

Fausto Nuzzo

Veröffentlicht am: 07.02.2024

Autoreninformation

Fausto Nuzzo

Physiotherapeut, Masseur und Ausbilder für Rhythmische Massage

Einführung

Die Umwandlung der aufgenommenen Nahrung setzt eine effektive Verdauung voraus, die wiederum eine starke Lebensorganisation (Ätherleib) bedingt (1). Bei einer geschwächten Lebensorganisation, beispielsweise durch Chemotherapie oder Strahlentherapie verursacht, können Symptome wie Übelkeit, Appetitverlust, Abneigung gegen bestimmte Lebensmittel und Abgeschlagenheit auftreten, die die Nahrungsaufnahme beeinträchtigen. Dies führt ggf. zu Mangelernährung, Gewichtsverlust und Kachexie. Die Rhythmische Massage und gezielte äußere Anwendungen bieten verschiedene Maßnahmen zum Kräfteaufbau, zur Verbesserung der Nahrungsaufnahme und allgemein zur Unterstützung und Regulation der Stoffwechseltätigkeit. Zur entsprechenden Behandlung gastrointestinaler Symptome in der Onkologie siehe auch diese Beiträge auf Anthromedics: „Rhythmische Massage bei Cancer Related Fatigue“, „Rhythmische Massage bei Inappetenz, Übelkeit und Erbrechen“, „Rhythmische Massage bei Obstipation“ und „Rhythmische Massage bei Diarrhoe“.

Menschenkundliche Grundlagen der Milzeinreibung

Rudolf Steiner beschrieb die Milz als ein „Organ der Empfindung“, das den „Rhythmus der Nahrungsaufnahme reguliert“ (2). Er betonte die Bedeutung dieser rhythmusbezogenen Funktion hinsichtlich einer „unbewussten Verstandes- und Vernunfttätigkeit, die im menschlichen Organismus durch die Milz […] vermittelt wird" (3), im Gegensatz zu den bewussten Funktionen, die im Gehirn und im Nervensystem lokalisiert sind. „Der Organismus vergiftet sich fortwährend gerade durch seine Vorstellungstätigkeit. Er gleicht diese Vergiftungszustände eigentlich fortwährend durch die unbewussten Willenszustände aus. In der Milz liegt das Zentrum für die unbewussten Willenszustände. Durchziehen wir nun die Milz mit Bewusstsein dadurch, dass wir sie massierend beeinflussen, dann wirken wir in einer gewissen Weise gegen die starke Giftwirkung, die von unserem höheren Bewusstsein ausgeht.“ (3) Steiner führte weiter aus, dass die Milz weniger auf den eigentlichen Stoffwechsel ausgerichtet ist, sondern mehr auf die rhythmischen Prozesse, die zwischen der Nahrungsaufnahme und dem Atemturnus stattfinden. Sie fungiert wie eine Art „Scheidewand“, die ein Gleichgewicht zwischen dem äußeren regellosen Ernährungsrhythmus und dem inneren regelmäßigen Atem/Puls-Rhythmus schafft und auch eine relevante Rolle bei der Aufrechthaltung der größeren Rhythmen von Wachen und Schlafen spielt (4). Diese Funktion der Milz basiert auf einem autonomen Grundrhythmus, der den Nahrungsrhythmus durch Ausdehnung und Zusammenziehung beeinflusst, was mittlerweile durch moderne bildgebende Verfahren nachgewiesen ist (5, 6, 7). Diese nahrungsabhängige Volumenveränderung der Milz steht darüber hinaus mit der Leber in Beziehung, und zwar durch eine „passive, kongestive Erweiterung des Pfortadersytems“, die reflektorisch durch eine Art „Windkesselsystem“ fein reguliert wird. So sorgt die Milz für einen konstanten Pfortaderdruck und wird berechtigterweise als „Regulierungsorgan für das Ernährungssystem“ bezeichnet (7).

Für die Prävention und Behandlung der Krebserkrankung spielt der Rhythmus der Nahrungsaufnahme vermutlich eine wichtigere Rolle als die Nahrungszusammensetzung (siehe auch „Ernährung bei Krebserkrankungen“). Hier eröffnen sich für die äußeren Anwendungen und die Rhythmische Massage wesentliche therapeutische Möglichkeiten durch entsprechende Organeinreibungen bzw. -massagen der Milz-Leber-Darm-Achse. Wie erwähnt, ist die Milz mit dem Leber-Galle-Prozess verbunden: Sie bereitet die Gallebildung vor, indem sie Erythrozyten abbaut und Bilirubin zur Leber transportiert. Jede Substanz, die wir als Nahrungsmittel aufnehmen, hat ihre eigenen innewohnenden Kräfte, Gesetzmäßigkeiten und ihren eigenen Rhythmus. Der menschliche Organismus muss diese Eigenschaften der aufgenommenen Stoffe überwinden und an seine innere Organisation und seinen inneren Rhythmus anpassen. „In Milz, Leber, Galle und ihrem Zurückwirken auf den Magen haben wir diejenigen Organe, welche die Gesetze der äußeren Welt, aus der wir unsere Nahrungsmittel entnehmen, anpassen der inneren Organisation, dem inneren Rhythmus des Menschen." (8) Daher ist es sinnvoll, die Milzeinreibung mit einer Lebereinreibung zu verbinden. In diesem Zusammenhang empfahl Steiner bei einigen Krankheitsfällen die Milzeinreibung mit kupferhaltiger Salbe und die Lebereinreibung mit eisenhaltiger Salbe (9, 10).

Ein weiterer Gesichtspunkt ist der Zusammenhang der Milztätigkeit mit den Bleiprozessen. Rudolf Steiner spricht in diesem Kontext von der Polarität zwischen Astralleib und Ich-Organisation („oberer Mensch“) einerseits und Physischem und Ätherleib („unterer Mensch“) andererseits:

Die oberen Bleiprozesse wirken stark auf die Nerven-Sinnes-Tätigkeit, auf alles dasjenige, „was vom Ich ausgehend, die Bildeprozesse im Menschen sind" (11, 12), auf die plastische Gestaltung und Konsolidierung des physischen Leibes bis in die Knochenbildung hinein. Andererseits führen diese oberen „kalten“ Prozesse bei Vorherrschen „zu gesteigertem Abbau, Überreizung des Sinnes-Nerven-Systems, zu degenerativen Erkrankungen.“ (13 S. 352)

Untere Bleiprozesse sind „Träger differenzierter Wärmewirkungen“ (13 S. 352) und stehen mit der Milzwirksamkeit in Beziehung. Diese Prozesse „kommen in dem individuellen Blutrhythmus und der Eigenwärme zum Ausdruck. Ihre Einseitigkeiten führen zu Störungen der Wärmeregulation“ (13 S. 349). Mit der Wärmeregulation sind unmittelbar immunologische Vorgänge assoziiert, die in der weißen Pulpa der Milz ein gewisses Zentrum haben.

Der fremde Nahrungsstrom muss überwunden, verinnerlicht, harmonisiert und wieder zu eigener Substanz aufgebaut werden.

Indikationen für die Milzeinreibung

Das Spektrum der Indikationen für eine Milzeinreibung erstreckt sich über das gesamte Wirkungsfeld der Milzfunktion. Ihre Anwendung ist angezeigt

  • bei Stoffwechselschwäche, Ernährungsstörungen, Appetitlosigkeit, Abmagerung, Erschöpfung und Abgeschlagenheit, Störungen des Wach-Schlafrhythmus;
  • bei den Erkrankungen des Immunsystems, welche sich an Haut und Schleimhaut – im Sinne eines gestörten Atmungsprozesses an den Grenzflächen zwischen Außen- und Innenwelt – zeigen, z. B. bei Hautallergie, Rhinitis allergica und bei allergischem Asthma, Nahrungsunverträglichkeit, Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, Rheumatider Arthritis;
  • bei Überwiegen von Abbauvorgängen, die mit Verkrampfungen, Stauungen, sklerosierenden Tendenzen, Ablagerungen und Degenerationserscheinungen einhergehen (14 S. 149);
  • sowie bei seelischen Verstimmungen wie Hypochondrie, Melancholie bis hin zur Depression.

Zur Durchführung der Milzeinreibung

Individualisierung, Abgrenzung, Abtötung und Neubildung von Kälte- und Wärmevorgängen, sind wesentliche polare Motive, die wir bei den Bleiprozessen finden. In der Lemniskate, die die Hand der Therapeutin, des Therapeuten in der Milzgegend vollführt, entsteht das Bild der rhythmischen harmonisierenden Kraft der Milz. Sie wird mit Ruhe, Innigkeit und Wärme, rhythmisch „wie Glockenschläge“ durchgeführt, so „dass das Organ ja in der Tiefe mitklingen muss“ (14 S. 147).

Die obere große Schleife der Lemniskate, die mit der rechten Hand der Therapeutin, des Therapeuten durchgeführt wird, umfasst von hinten nach vorne den unteren linken Brustkorb. Sie umhüllt die ganze Milzgegend und deutet auf die Verbindung der Milz zum Rhythmischen System. Jeder Atemzug, jede Pulswelle nimmt sie unmittelbar wahr. Die untere Schleife umstreicht das Gebiet des Stoffwechsels und liegt zwischen Flanke und unterem linken Bauch. Sie ist kleiner und wird mit der aus dem vollen Hautkontakt sich allmählichen lösenden Hand „fast auf einen atmenden Umkehrpunkt zusammengezogen“ (14 S. 149). Die linke Hand ruht diagonal dazu auf der Lebergegend und sucht „lauschend“ die Anbindung an den sich aus der rechten Hand ausdehnenden warmen und „klingenden“ Strom.

Zur Lebereinreibung

Innerhalb der Organe des menschlichen Stoffwechsels nehmen die Milz und die Leber eine Sonderstellung ein. Während die Milz als übergeordnetes Organ im Stoffwechselsystem angesehen wird, da sie eine rhythmische, regulierende Funktion bei den Prozessen einnimmt, die zwischen Nahrungsaufnahme und Atemrhythmus stattfinden, stellt die Leber mit ihrer differenzierten Auf- und Abbautätigkeit das Zentralorgan dar. Sie ist unser „ernährendes, substanzbildendes, den Organismus ständig neu belebendes und aufbauendes Organ“ und bleibt „zeitlebens der embryonalen Ernährungs- und Atmungsweise der Plazenta nahestehend“ (15 S. 88). Durchflutet von fünf unterschiedlichen Flüssigkeitsbewegungen, ihre plastische Konsistenz von den umgebenden Organen geformt, wird die Leber wie kein anderes Organ vom Flüssigkeitsorganismus geprägt. Hierdurch, aber auch durch ihre Drüsentätigkeit und hohe Regenerationsfähigkeit, zeigt die Leber ihre starke Beziehung zum Ätherleib.

Die Leber ist das Organ, das dem Ich ermöglicht, durch die Wärmeorganisation in den physischen Leib einzudringen. Durch das Zusammenwirken des Leber-Gallesystems werden die aufgenommenen Nährstoffe bis in die Wärmeorganisation des Blutes hineingetrieben. Von dort aus und erst durch eine Ich-Impulsierung der Körpersubstanz kann individuelle menschliche Substanz gebildet werden. „Dadurch, dass die Leber vorhanden ist, von der Leber die Galle abgesondert wird und dem Speisebrei schon in dem Darm beigemischt ist und so das Ganze schon durchsetzt ist von Lebererzeugnissen, dadurch wird es dann in den Ich-Organismus hineingetrieben“ (16 S.76).

Je stärker die Ich-Kräfte also durch die Leber-Gallenfunktion in die Verdauungs-und Stoffwechselprozesse eingreifen können, desto effizienter wird auch der Metabolismus sein.

Der Tumorprozess, der mit Gewichtsverlust sowie den einleitend genannten Symptomen einhergeht, weist auf eine Lockerung der seelisch-geistigen Wesensglieder aus der physisch-ätherischen Organisation hin. Durch eine Chemo- oder Bestrahlungstherapie wird darüber hinaus die Lebensorganisation stark angegriffen. Jede mineralische Substanz – hierzu gehören viele Medikamente und vor allem Chemotherapeutika – belastet die Leber, was schließlich zu einer Stockung der ätherischen Vorgänge führt.

Für die Rhythmische Massage stellt die Lebereinreibung eine therapeutische Möglichkeit dar, den gesunden Fluss der Lebenskräfte wieder anzuregen. Auch hier erfolgt die Behandlung nach dem Prinzip der hierarchischen Ordnung der menschlichen Organisation, indem Bewusstsein durch die berührende Hand auf die organischen Vorgänge der Leber übertragen wird: Die höhere Organisation wirkt auf die nächst niedrigere. Die warme Ich-geführte Hand der Therapeutin, des Therapeuten durchzieht mit „wachsenden und sich wieder zusammenziehenden Kreisen“ die ganze Lebergegend, „deren Zentrum etwa auf der Gallenblasengegend ruht“ (14 S. 149).

Literaturverzeichnis

  1. Debus M. Inappetenz, Übelkeit und Erbrechen in der Onkologie. Anthromedics – Fachportal für Anthroposophische Medizin. Verfügbar unter https://www.anthromedics.org/PRA-0701-DE (04.03.2019).
  2. Steiner, R. Geisteswissenschaft und Medizin. GA 312. Vortrag vom 04.04.1920. 8. Aufl. Basel: Rudolf Steiner Verlag; 2020.
  3. Steiner, R. Geisteswissenschaft und Medizin. GA 312. Vortrag vom 05.04.1920. 8. Aufl. Basel: Rudolf Steiner Verlag; 2020.
  4. Steiner, R. Geisteswissenschaft und Medizin. GA 312. Vortrag vom 07.04.1920. 8. Aufl. Basel: Rudolf Steiner Verlag; 2020.
  5. Weinzirl J, Scheffers T, Garnitschnig L, Heusser P. Die Milz in Natur- und Geisteswissenschaft. Der Merkurstab 2018;71(2):110-119. DOI: https://doi.org/10.14271/DMS-20919-DE.
  6. Weinzirl J, Scheffers T, Garnitschnig L, Andrae L, Heusser P. Does the Spleen Have a Function in Digestion? Medical History, Phylogenetic and Embryological Development of the Splenogastric System. Complementary Medicine Research 2020;27(5):357-363. DOI: https://doi.org/10.1159/000506390.
  7. Weinzirl J, Scheffers T, Garnitschnig L, Andrae L, Heusser P. Splenic Rhythms and Postprandial Dynamics in Physiology, Portal Hypertension, and Functional Hyposplenism: A Review. Digestion 2020;102(3). DOI: https://doi.org/10.1159/000507346.
  8. Steiner R. Eine okkulte Physiologie. GA128. Vortrag vom 23.03.1911. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1991.
  9. Steiner R. Geisteswissenschaftliche Gesichtspunkte zur Therapie. GA 313. Vortrag vom 18.04.1921. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 2001.
  10. Anmerkung: Bei Gallefunktionsstörung verordnete Rudolf Steiner im Fall 84 (siehe Lit. 12) einen Eisenspangürtel. Später wurde diese Art von Anwendung in der Praxis häufig durch eine eisenhaltige Lebereinreibung ersetzt.
  11. Walter H. Der Krebs und seine Behandlung. Eine Sammlung von Krankengeschichten mit Hinweisen von Dr. Rudolf Steiner. Arlesheim: Klinisch-Therapeutisches Institut; 1953, Krankheitsgeschichte Nr.11, Nr.45.
  12. van Degenaar AG. Krankengeschichten. Krankheitsfälle und andere medizinische Fragen, besprochen mit Rudolf Steiner. Dornach: Verlag am Goetheanum; 2008. Krankheitsfälle Nr.84, Nr.127.
  13. Selawry A. Metall-Funktionstypen in Psychologie und Medizin. Zur Therapie mit Silber, Merkur, Kupfer, Eisen, Zinn, Blei und Gold. Berlin: Salumed Verlag; 2017, S. 352.
  14. Hauschka M. Rhythmische Massage nach Dr. Ita Wegman. Bad Boll: Margarethe Hauschka-Schule; 1972.
  15. Vogel HH. Die vier Hauptorgane. Bad Boll: Natur Mensch Medizin Verlag GmbH; 2005, S. 88.
  16. Steiner R. Geistige Zusammenhänge in der Gestaltung des menschlichen Organismus. GA 218. Vortrag vom 22.10.1922. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1992, S. 76.

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

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