Einführung in das Menschenverständnis der Anthroposophischen Medizin

Matthias Girke

Letzte Aktualisierung: 21.07.2020

Jedem medizinischen System liegt ein Menschenbild zugrunde, der gegenwärtigen konventionellen Medizin ein bio-psycho-soziales. Anliegen der Anthroposophischen Medizin ist es, den Menschen als leibliches, seelisches und geistiges Wesen zu begreifen und dementsprechend Diagnostik und Therapie an einem umfassenden Menschenverständnis zu orientieren. Sie erkennt damit nicht nur dem Physischen (Körper), sondern auch dem Lebendigen, Seelischen und Geistigen des Menschen eine eigene Wirklichkeit zu.

Zunächst sind die über das Physische hinausweisenden Ebenen nicht unmittelbar der Sinneserfahrung zugänglich, sondern dem Wortsinn nach „übersinnlich“. Sie verlangen eine jeweils eigenständige Methodologie im Erkenntniszugang. Das kausalanalytische Vorgehen erscheint lediglich als eine Erkenntnisweise, die vorrangig der somatischen Seinsdimension angemessen ist. Sie wird bereits dem Bereich des Lebendigen nicht mehr gerecht. Der Organismus ist nicht durch einfache Ursache-Wirkung-Relationen beschreibbar. Ähnliches gilt für das seelische und das geistige Wesen, die sich einer dem Körperlichen angemessenen Betrachtungsart nach Maß, Zahl und Gewicht entziehen. Insofern verlangt dieses Menschenbild eine den jeweiligen Seinsbereichen entsprechende Erkenntnistätigkeit.

Die Betrachtung des Organismus als Ganzem, aber auch diejenige jedes einzelnen seiner Organe wird erst dann eine vollständige genannt werden dürfen, wenn sich in ihr diese vier Ebenen wiederfinden. Das Gleiche gilt für das Verständnis von Krankheit und Therapie. Die Wirksamkeit des Körperlichen, Lebendigen, Seelischen und Geistigen wird zur Grundlage für das therapeutische Handeln und beleuchtet die Beziehung des Menschen zu den verschiedenen Naturreichen. 

Literaturempfehlungen

Girke M, Matthiessen PF. Medizin und Menschenbild. Hohenwarsleben: VAS – Verlag für akademische Schriften; 2015.

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

Weiterführende Informationen zur Anthroposophischen Medizin