Musiktherapie bei Ödemen

Viola Heckel

Letzte Aktualisierung: 16.07.2019

Ödeme sind eine desintegrierte, „abgelagerte“ Flüssigkeit im physischen Organismus des Patienten. Sie folgen nicht mehr seinen Lebensprozessen, sondern oftmals physikalischen Gesetzmäßigkeiten wie Druck und Schwere. Die Lebensorganisation des Patienten ist geschwächt und führt zu Beschwerden wie Erschöpfung und Kraftlosigkeit. Oftmals ist auch die seelische Ebene (Empfindungsorganisation) und die Ich-Wirksamkeit verändert. Müdigkeit und Einschränkungen der Ich-geführten Bewegungsaktivität können die Ödementwicklung begleiten.

Entsprechend ergibt sich ein multimodaler Behandlungsansatz, der die Kunsttherapie einschließt. Durch die Musiktherapie können auf der seelischen Ebene die innere Entspannung, Entängstigung und eine Zentrierung des geistigen Wesens des Patienten erreicht werden. Auf der Lebensebene stellt sich Belebung ein, die bis in die subjektive Leibwahrnehmung – z. B. in einem Gefühl der „Erleichterung“ – erfahrbar wird.

Die Kunsttherapie kommt vor allem beim länger bestehenden Ödem in Betracht.

Periphere Ödeme

Bei kardialen Ödemen verlangt die Therapie der Herzinsuffizienz die Berücksichtigung des seelisch-geistigen Wesens. Oftmals besteht eine depressive Stimmungslage. Die zum Nerven-Sinnessystem orientierte Empfindungsorganisation führt zu Stauungsprozessen, während die sich aus der Anspannung lösende Seele die Symptomatik verbessert. Die Musiktherapie kann Angst und Unruhe ausgleichen und eine seelische Anspannung lösen.

  • Neben vorgespielter Musik, vorzugsweise mit der Leier,

  • weckt das Spiel mit der akkordisch gestimmten Bordunleier oder der pentatonisch gestimmten Kantele sowie der Tao-Leier durch den fließenden Klang und die unkomplizierte Handhabung Spielfreude. Über die lauschende Tätigkeit in Verbindung mit der rhythmisch atmenden Spielbewegung im Wechselspiel mit dem Therapeuten löst sich die seelische Anspannung und die Seele kommt ins Schwingen. Dies überträgt sich regulierend und harmonisierend bis in das Verhältnis von Atem- und Pulsrhythmus.

  • Das Zimbelspiel unterstützt diesen Vorgang durch die sich öffnende Spielgebärde auf den langen Nachklang.

  • Singen wirkt noch unmittelbarer auf den Atem und regt dazu das Lymphsystem an. Lieder, frei gesungene Melodien zu den Klängen der Bordunleier und individuell abgestimmte Übungen aus der Gesangstherapie helfen, Stauungen abzuleiten und Ängste abzubauen.
    „Der fließende Klang geht zusammen mit der Melodie des Liedes, mit dem Rhythmus der Melodie, ein Erlebnis großer Freiheit.“ (Aussage einer Patientin bei der Musiktherapie)

Anasarka

Die Musiktherapie verstärkt die seelisch-geistige Wirksamkeit im Organismus . Ödeme entstehen, wenn sich diese zurückzieht und nicht mehr ausreichend den Leib ergreift. Durch die Musiktherapie kann die Körperorientierung der Wesensglieder unterstützt werden, auch mit Auswirkungen auf das Befinden – wie Müdigkeit, Kraftlosigkeit – des Patienten.

  • Empfehlenswert ist Musik, Vorspiel oder Hörtherapie vorzugweise mit der Leier.
    Sie kann gegensätzliche musikalische Ausdrucksformen wie Höhe und Tiefe im Melodieverlauf, dynamische Wechsel etc. in ein rhythmisch bewegliches Wechselspiel von Binden und Lösen führen – gleich einem übergeordneten Atemprozess.

  • Auf der intervallischen Ebene kann der Wechsel der mehr im Umkreis beheimateten Quintqualität mit der mehr innerseelisch erlebten Terzqualität die inkarnierende Geste der oberen Wesensglieder anregen. Vor dem Hintergrund, dass die Skala von der Primstufe bis zur Oktave urbildlich mit der menschlichen Gestalt korrespondiert, unterstützen Tonfolgen und Melodien, die den Oktavraum umspannen, über die seelische Ebene ein ganzheitliches Körpergefühl.

  • Individuell abgestimmte gesangstherapeutische Übungen nach der Schule der Stimmenthüllung von Valborg Werbeck-Svärdström fördern ein gesundes Ineinanderschwingen der Wesensglieder. „Gesang ist völlig produktiv an sich“, heißt es in Goethes Tonlehre. So ruft der Vorgang des Singens selbst Ich-Wirksamkeit auf. Die eigenschöpferische Kraft des Singens überträgt sich auch auf den Zuhörenden.
    Über die Formkräfte der Konsonanten wird gezielt die Beziehung zum Leib angeregt, während die Vokale vor allem die seelische Ebene ansprechen. In Verbindung mit dem strömenden Klang erfährt die Lebensorganisation eine Anregung und Stauungen wird entgegengewirkt. Die Patienten fühlen sich durch der Therapie erwärmt und innerlich belebt. Bei den Übungen ist zu beachten, dass dem Nachklang genügend Raum gegeben wird. Patient und Therapeut singen gemeinsam oder der Therapeut singt für den Patienten.
    Eine bettlägerige Patientin, kraftlos mit schweren Beinödemen, äußerte überrascht nach dem gemeinsamen Singen mit der Therapeutin: „Mein Körper fühlt sich auf einmal viel leichter an.“

  • Auch Resonanzerlebnisse können auf die Körperorientierung unterstützend wirken, z. B. wenn der Therapeut die Tenor-Chrotta an die Fußsohlen des Patienten angelegt und die Saiten streicht oder wenn eine Kantele, Leier oder Tao-Leier an den Füßen oder an den Beinen der Patienten gespielt wird. Je nach Situation kann der begleitende Gesang des Therapeuten oder das gemeinsames Singen einzelner Töne dazu kommen.

Aszites

Aszites führt oftmals zu Inappetenz, Spannungsgefühl und geht mit Erschöpfung und Kraftlosigkeit einher. Die sich darin aussprechende Schwäche der Lebensorganisation kann von Müdigkeit und Kraftlosigkeit begleitet sein, ein Hinweis auf die eingeschränkte seelisch-geistige Wirksamkeit im Organismus.
Durch die Musiktherapie kann die angespannte Seele gelöst und die astralische Organisation in ihrer Wirksamkeit im Stoffwechselsystem unterstützt werden.

  • Leierspiel und Gesang vermitteln eine Klangqualität, die durch die ganze Gestalt bis in feine Schichten der Muskulatur hindurch schwingt und Spannungsgefühlen entgegen wirkt. Im Vordergrund steht die rezeptive Musiktherapie. Musik von Bach, therapeutische Kompositionen mit rhythmisch fließender Melodik sowie das strömende Spiel mit einer Kantele oder einer Leier – am besten in Verbindung mit Gesang – lösen die innere Anspannung.
    Ein ganzheitliches Musikerleben stellt sich ein, das als Belebung erfahren wird, abzulesen an einer vertieften Atmung und an einem aufgehellten Blick: „Es geht eine wellenartige Durchflutung durch den ganzen Körper. Ich fühle mich entspannt und trotzdem ganz präsent.“ (Aussage eines Patienten nach der Musiktherapie)

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

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