Maltherapie in Schwangerschaft und Geburtsvorbereitung

Bernadette Gollmer

Letzte Aktualisierung: 11.06.2019

Liebe werdende Mutter, liebe Eltern!

Sie sind guter Hoffnung. Sie tragen ein Kind unter ihrem Herzen. Sie sagen ja zum Leben.

Sie haben sich Gedanken gemacht, was Sie vorbereiten können, wo Sie Ihr Kind willkommen heissen wollen, wie es nach der Geburt mit der beruflichen Tätigkeit weitergehen könnte. Sie empfangen ihr Kind – das sich an Ihren Atem, an Ihre Stimme, an Ihren Alltag und Ihren Gang schon so gewöhnt hat, – mit Zuversicht, Ruhe und Geduld.

Wie kann die Bindung bereits vor der Geburt gestärkt werden, dass sich Ihr Kind – wie Sie – auf die Begegnung freut? Eine liebevolle Beziehung gibt Ihrem Kind das Vertrauen, auf der Welt willkommen zu sein. Wie fühlt es sich an, Ihr Kind zu sein? Ein Bild erzählt vielleicht mehr als viele Worte.

Abb. 1: Magenta «Willkommen sein», © Bernadette Gollmer

Magenta ist bildlich eine Farbe, die den Vorgang der Schwangerschaft – gebor(g)en sein – lebendig darzustellen vermag. Durch Hingabe, Liebe und Vertrauen zu einem Menschen erlebt die Mutter das neue Leben in ihrem Körper. In der Gebärmutter genährt, in der Wärme wachsend, im Flüssigen wiegend bei jedem Schritt und jedem Atemzug, wächst das Kind und bereitet sich auf den Erdenweg vor. Das Kind wird auf seinem Weg, das Licht der Welt zu erblicken, getragen von einem einmaligen Urvertrauen zu seinen Eltern.

Vorbereitungskurs: Einladung und Anregung der Geburt

Die Hebammen des Paracelsus-Spital Richterswil (Schweiz) bieten monatlich einen Geburtsvorbereitungskurs für werdende Mütter und begleitende Partner oder Angehörige an, die zum ersten Mal ein Kind erwarten. Ein Wochenende lang werden Informationen, Hinweise und Gedanken in Zusammenhang mit der Geburt angesprochen. Neue Bekanntschaften mit Paaren im ähnlichen Lebensabschnitt können geknüpft werden.

Am zweiten Kurstag besteht die Möglichkeit, einen farbigen Willkommensgruß für das Kind zu malen. Mit Farben kann eine Brücke hergestellt werden zwischen Kind und Mutter, zwischen Kind und Vater, zwischen Kind und Begleitperson. Wie fühlt sich dieses Kind in mir, wie ist die Schwangerschaft, wie wird dieses Kind sein, das zu uns kommen will? Die jungen Eltern schaffen aus lichtechten Wasserfarben eine einzigartige farbige Welt. Mit welchen Farben möchten sie das Kind empfangen? Innig leuchtendes Rot, lichtvolles Gelb, hüllendes, schützendes Blau, tiefes Violett oder zartes Lichtgrün? Welche Farben, Formen und Bewegungen fließen beim Malen mit Kopf, Herz und Hand über den Pinsel auf das Blatt? Der Malvorgang stellt eine persönliche Beziehung zum Kind her. Diese momentane, individuelle Aussage macht die Verbindung sichtbar. Mit grossem Respekt gegenüber dem Sichtbarwerden des Unsichtbaren können diese Bilder die jungen Eltern begleiten. Sie erweitern nicht nur den Blick auf die Geburt, sondern wecken neue Gedanken und Gefühle mit und zu dem Kind.  

Gib mir das Wunderbare, das in mir steckt,
die Zeit, die es zum Wachsen braucht,
die Liebe, die es zum Blühen bringt,
die Begeisterung, die es strahlen lässt,
die Phantasie, die es lebendig erhält,
und den Zauber, der es schützt.
(Quelle unbekannt)

Abb. 2: Willkommensgrüße junger Eltern, © Bernadette Gollmer

Nun steht die Geburt bevor oder wird aus medizinischer Sicht mit komplementärmedizinischen Mitteln angeregt. Die Treffen mit Hebammen oder Ärzten geben Sicherheit und bestätigen, dass sich das Kind und die Mutter wohl fühlen. Mit komplementärmedizinischen Mitteln wird auch der seelischen Verbindung zum Kind Raum und Zeit gegeben. Neben weiteren Anwendungen wird die Mutter eingeladen – vielleicht vom werdenden Vater oder einer Begleitperson unterstützt – durch die Maltherapie und mit speziell anregenden Farben einen Willkommensgruß für das Kind zu malen. So wie uns ein Abendrot berührt, ein sonniger Tag erfreut, ein liebevoller Blick des Partners ermutigt, zeugt das Bild von Gefühlen, die im Moment den Geburtsprozess begleiten: Zuversicht, Freude, Erwartung, Neugier und Neuschöpfung strahlen die Bilder aus.

Als Mutter erleben Sie die wundersame Verwandlung in ihrem Körper, die Veränderungen, die den Alltag in der Schwangerschaft bestimmen. Das Malen ist eine Einladung, nochmals inne zu halten und auf die Schwangerschaft zurück zu blicken, sowie der einmalig intimen Zeit mit diesem ankommenden Kind Ausdruck zu geben. Mit den drei Farben Zinnoberrot, Gelb und Indigoblau werden Qualitäten der Bewegung und Wärme, der Zielgerichtetheit und Strahlkraft, der Hüllebildung und Wärme ausgleichend angeboten.

Abb. 3: Zinnoberrot am Abendhimmel, © Bernadette Gollmer

Nach dem ersten freien Bild kann eine geführte Übung mit den drei erwähnten Farben anschliessen. Die Therapeutin führt Schritt für Schritt durch die Malübung. Das freie Bild ist Ausgangspunkt und lädt ein, mit kräftigen Farbimpulsen den Weg des Kindes – den Geburtsvorgang – aktiv auf dem Malblatt anzuregen.

Werden Sie bei der Geburt begleitet, ist dies eine Gelegenheit, auch dem Partner oder der Begleitperson der Beziehung zum Kind nonverbal Raum zu geben. Das Malen wird zur stimmungsvollen Vorbereitung auf das Dabeisein. Dieses Mitmachen gibt Halt und eine schützende Hülle für die werdende Mutter. Der Begleitung steht eine ganze Farbenfülle von Magenta, Orange, Grün, Türkis bis Violett und Mischfarben zur Verfügung.

Nach dem Malen bleibt Zeit für einen intimen Austausch über die entstandenen Bilder und erlebten Gedanken und Empfindungen. Das kommende Geschehen wird so mit neuem, erweitertem Blick ergänzt und ohne Zeitdruck erwartet.

Maltherapie in der Schwangerschaft

In der Schwangerschaft hat die Maltherapie eine beruhigende und ausgleichende Wirkung. Farben beeinflussen den Menschen. Sie können mithelfen, Gefühle zu vertiefen, sie neu oder anders anzuschauen. Auf körperlicher Ebene wirkt die Maltherapie aktivierend und ausgleichend auf Lebensvorgänge. Die anthroposophische Maltherapie arbeitet mit dem Malprozess und der Wirkung der Farben.

Bei einigen Schwangerschaftsproblemen kann die Maltherapie sehr hilfreich sein. Ist beispielsweise die Schwangerschaft aus verschiedenen Gründen durch Übelkeit belastet, kann Malen mit Viridiangrün (Smaragdgrün) mithelfen, dem aufsteigenden Erbrechen entgegen zu wirken. Die Nahrung kann Tag für Tag besser aufgenommen werden und reguliert sich leichter in der Frühschwangerschaft. Die lichtvolle Atmosphäre eines frischen klaren Sees, eines Wasserfalls oder eines Smaragdes wirken innerlich zentrierend und aufrichtend.

Abb. 4: Viridiangrün in der Natur, © Bernadette Gollmer

Treten vor der 36. Schwangerschaftswoche aus verschiedenen Gründen vorzeitige Wehen auf, bietet die Maltherapie die Möglichkeit, wieder Ruhe zu vermitteln. Die werdende Mutter zieht sich für das Kind aus dem Alltagsprozess zurück und schenkt ihm mit Kobaltblau bildlich Weite. In diesem Blauraum ist Zeit gegeben, die Beziehung zu stärken und das Wohlsein mit dem Kind wieder zu erleben. Die Weite eines Himmelsgewölbes, der schützende Mantel Marias – wie wir das von Madonnenbildern kennen – oder der Blick über das Meer lösen Enge auf und helfen, den Atem wieder ins Fließen zu bringen.

Abb. 5: Kobaltblau in der Natur, © Bernadette Gollmer

Durch die anthroposophische Maltherapie (1), (2) kann unter ärztlicher Begleitung und mit erweiterten komplementärmedizinischen Ansätzen Ruhe und Vertrauen in den Geburtsvorgang gebracht werden (3). Die Erfahrungen zeigen, dass Müttern in der Schwangerschaft gut und nachhaltig damit geholfen werden kann (4), (5).

Zur Methode „Licht, Finsternis und Farbe“ nach Liane Collot d’Herbois

Die angewandte anthroposophische Maltherapie nach „Licht, Finsternis und Farbe“ ist eine kunsttherapeutische Methode, die auf der menschlichen Dreiheit Geist, Körper und Seele beruht. Sie stärkt die Kräfte der Erneuerung durch ein immer neu zu schaffendes Gleichgewicht – mit den Wirkungen der Kunst und der therapeutischen Beziehung. Aktives Gestalten am Werk erweitert mit geistig-seelischen Mitteln die Behandlungen der konventionellen oder komplementären Medizin. Kunsttherapie setzt Umwandlungs- und Autonomiekräfte ein, um z. B. Ruhe oder Bewegung, Ausgleich oder Durchwärmung innerlich bewusst zu erleben.

Literaturverzeichnis

  1. Collot d’Herbois L. Licht, Finsternis und Farbe in der Maltherapie. Dornach: Verlag am Goetheanum 1993.
  2. Collot d’Herbois L. Colour. Stuttgart: SchneiderEditionen 2016.
  3. Kloter E, Wolf U. Anthroposophisch-medizinische Komplextherapie zur Geburtseinleitung. In: Jahresbericht des Instituts für Komplementärmedizin an der Universität Bern 2017.
  4. Kloter E, Wolf U. Anthroposophische Komplextherapie bei Patientinnen mit Hyperemesis gravidarum in der Frühschwangerschaft. In: Jahresbericht des Instituts für Komplementärmedizin an der Universität Bern 2017.
  5. Kloter E, Gerstenberg G, Berenyi T, Gollmer B, Flüger C, Klein U, Eberhard J, Kuck A, Wolf U. Treatment of hyperemesis gravidarum with anthroposophic complex therapy in 3 case reports. Complementary Therapies in Medicine 2019;44:14-17.[Crossref]

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

Weiterführende Informationen zur Anthroposophischen Medizin