Aufbauende und „nährende“ Übungen aus der Kunsttherapie für onkologische Patient:innen

Dagmar Brauer, Josef Ulrich

Letzte Aktualisierung: 04.07.2023

Onkologische Erkrankungen bergen für betroffene Menschen Phasen, in denen es infolge von metabolischen Störungen zu Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust und großer Kraftlosigkeit kommen kann. In einem fortgeschrittenem Stadium stellt sich das Risiko einer Kachexie ein. Abbauende Prozesse überwiegen die aufbauenden in einem erheblichen Maß, was sich nicht nur auf der leiblichen Ebene sondern auch auf der seelischen und kognitiv-geistig zeigen kann (1). Krebserkrankte mit Ernährungsstörungen oder in kachektischer Situation benötigen eine multimodale Therapie, allen voran eine Ernährungs-, Bewegungs- und Arzneitherapie. Als supportive Therapie bietet das therapeutische Malen und Plastizieren eine Reihe von aufbauenden, stoffwechselanregenden und „nährenden“ Übungen an, von denen einige hier beispielhaft genannt werden (2). Dabei stehen diese Übungen nicht für sich, sondern die Kunsttherapeut:innen – wie überhaupt das Therapeutenteam in der Anthroposophischen Medizin – beziehen sich auf den je individuell erkrankten Menschen auch mit seinen seelisch-geistigen Bedürfnissen.

Die Ermöglichung seiner Kreativität auf vielfältige Weise wertzuschätzen, zu pflegen und weiter zu entfalten, ist nicht zwangsläufig an seine körperliche Verfassung gebunden (3). Es gibt onkologisch Erkrankte, die auch in extremer körperlicher Reduktion ihre Kreativität – ob in gedanklichen Entwicklungen, im seelischen Erleben oder in der eigenen bildnerischen Tätigkeit – sinnvoll leben, was von den Angehörigen und dem begleitenden Umfeld, vor allem aber vom Erkrankten selbst als ein glücklicher Umstand wahrgenommen wird. Die Kunsttherapie bietet viele Möglichkeiten, den Menschen hierin zu unterstützen.

Therapeutische Empfehlungen zur „Ernährung“ mit Hilfe der eigenen Kreativitätsentfaltung

  • Maltherapeutische Übungen in der Naß-in-Naß-Technik auf kleinem Bildformat
    Papiergröße im Postkartenformat oder bis 20 x 20 cm. Schlichte Farbvorgaben oder -motive, beispielsweise ein grünen Hügel in bogenförmigen (aufbauenden) Pinselbewegungen entstehen lassen und darüber – in gleicher Bewegungsgeste – einen goldgelben bis hellroten Sonnenaufgang (Abb. 1).
    Grüntöne haben eine belebende Wirkung auf den Seelen- und Lebensleib, die hellen Rottöne eine aktivierende (4, 5). Den farblichen Halbbögen liegt eine konvexe Wachstumsgestik zugrunde.   

  • Ein achtsamkeitsbasiertes Motiv ist das Ermalen von grünen Gräsern mit den Farben Blau und Gelb. Dabei werden am unteren Bildrand beginnend von links nach rechts kurze breite Farbstriche – Gräser – in Reihen entstehend gemalt: zuerst mit Blau, dann in gleicher Weise mit dem Gelb über das Blau malend, sodass die belebende Mischfarbe Grün entsteht.

  • Farbmeditationen mit einzelnen oder mehreren Farben, je nach Präferenz der Patient:innen. Eine solche angeregte Farbentwicklung kann zu innerer Ruhe und Kraftsammlung, zu Freude und Dankbarkeit führen. Orange und Rot als Einzelfarben wirken anregend, kräftigend und wärmend. Und von den positiven Seelenempfindungen beim Malen profitiert der Lebensleib, denn „die Malerei beruht darauf, dass hineingedrängt werden in den Ätherleib die inneren Impulse des astralischen Leibes.“ (6)

 

Abb. 1: Sonnenaufgang über grünem Hügel

  • Maltherapeutische Übungen mit Pastellkreide
    Pastellpulverbilder lassen sich aus Erinnerungsmotiven oder Wünschen der Patient:innen impulsieren. Das weiche Farbmaterial lässt sich einfach durch die Finger auftragen und verstreichen. Es hilft, dass die malerische Tätigkeit nicht als eine anstrengende erlebt wird, sondern als eine zu genießende.

  • Das Bilddiktat
    Stellvertretend stellen sich die Therapeut:innen als verlängerte Hand der Patient:innen zur Verfügung. Das Wahrnehmen, Mitbewegen, Erleben, Fühlen, Bedeutung geben, Entscheiden und Wollen bleiben Aktivitäten des indirekt Malenden. Häufig bitten die Patient:innen darum, eine biografische Situation malerisch oder zeichnerisch darzustellen, die ihnen wesentlich ist. 

  • Metallfarblicht-Anwendungen
    Den Metallfarblicht-Anwendungen in der Onkologie liegen mehr als 20 Jahre Erfahrung, Dokumentation und Evaluation zugrunde (7). Zur Anregung des inneren Lichtstoffwechsels wurden für Mammakarzinom-Patientinnen das goldene und das eisengrüne Farbfenster verwendet. Die Patient:innen nehmen vor den Farbfenstern – deren Farbe von Metallen erzeugt ist – lichtvolle Erlebnisse in der Seele wahr, die bestimmte Lebenskräfte vermitteln: Erfrischung, Erwärmung, Aufrichtung und/oder Kräftigung (7, S. 224).

  • Kugel aus Tonerde
    Eine kleine Menge Tonerde in die eine Handinnenfläche (Herzraum der Hand) geben und die Patient:innen bitten, abwechselnd und rhythmisch mit dem sanften Druck beider Handinnenflächen eine Kugel zu formen. Dabei den Ton im Schoss, in der eigenen Körpermitte, haltend. „Ich habe eine Kugel gemacht und war glücklich.“ (8)

In der Entfaltung der Schöpferkräfte im Menschen liegt ein besonderes Potential, das auch im erschöpften oder ausgezehrten Zustand aufgerufen werden kann (8). Wenn dies gelingt, entbindet es den erkrankten Menschen von der Fixierung und Reduktion auf sein Defizit. Trotz der extremen Schwäche kann er sich in Verbundenheit mit seiner Schöpferkraft oftmals für Minuten oder länger aus dem Leid heraus erheben und verlebendigt sich im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln. Seine Präsenz nimmt zu.

Literaturverzeichnis

  1. Debus M. Charakteristik der Krebserkrankung unter dem Gesichtspunkt der vier Wesensglieder des Menschen. In: Vademecum Anthroposophische Arzneimittel. Band 2. Hrsg. von der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland und der Medizinischen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, Dornach/Schweiz. München: GAÄD; 2017, S. 880-894.
  2. Siehe auch Hegglin G, Mösch de Carvalho C, Ritter A, Staguhn J, Stenz H. Maltherapie und Plastizieren bei Inappetenz, Übelkeit und Erbrechen. Verfügbar unter https://www.anthromedics.org/PRA-0717-DE. Anthromedics, Fachportal für Anthroposophische Medizin (11.09.2018).
  3. Ulrich S. Selbstheilungskräfte, Quellen der Gesundheit und Lebensqualität. 4. Aufl. Stuttgart: aethera® im Verlag Urachhaus; 2018.
  4. Brauer D, Mösch de Carvalho C. Das Erschöpfungssyndrom als Herausforderung in der Maltherapie mit onkologisch Erkrankten. Der Merkurstab 2017;70(5):400-405. DOI: https://doi.org/10.14271/DMS-20848-DE.
  5. Brauer D. Rudolf Steiner zur Wirkung von Einzelfarben – Ableitung von Indikationen für die Maltherapie als Aufgabe für die Praxisforschung. Der Merkurstab 2023 (im Druck).
  6. Steiner R. Kunst im Lichte der Mysterienweisheit. GA 275. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1990, S. 59.
  7. Altmaier M. Metallfarblichttherapie. Zur Forschung und Entwicklung einer neuen Therapie auf anthroposophischer Grundlage. Stuttgart: Verlag Johannes M Mayer; 2010.
  8. Kleinrath U, Bertram M. „Ich habe eine Kugel gemacht und war glücklich“. Die Kugel als Aufgabenstellung in der Kunsttherapie. In: Bertram M, Kolbe HJ (Hrsg.) Dimensionen therapeutischer Prozesse in der Integrativen Medizin. Wiesbaden: Springer Fachmedien; 2016, S. 145-154.

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

Weiterführende Informationen zur Anthroposophischen Medizin