Anthroposophische psychotherapeutische Behandlung als notwendige Unterstützung der anthroposophisch-medizinischen Behandlung bei einem schweren Kindheitstrauma

Eine Einzelfallstudie

John Lees

Letzte Aktualisierung: 31.08.2022

Einleitung

In dieser Einzelfallstudie geht es um die Art und Weise, wie die anthroposophische Psychotherapie bei einem schweren Kindheitstrauma eng mit der Anthroposophischen Medizin (AM) zusammengearbeitet hat. Die anthroposophische Psychotherapie folgt denselben Grundsätzen wie die AM, indem sie integrativ ausgerichtet ist und dabei auf bestehende psychotherapeutische Methoden aufbaut und ihnen "weitere Erkenntnisse" hinzufügt, die "durch andere Methoden" gefunden werden (1). Jede anthroposophische Psychotherapeutin und jeder anthroposophische Psychotherapeut werden ihre Arbeit aus einer anderen Perspektive angehen, je nach Vorbildung und persönlicher Veranlagung. Mein Ansatz der anthroposophischen Psychotherapie ist also nicht als Modell für andere gedacht. Es ist meine eigenständige, idiosynkratische Art, anthroposophische Psychotherapie auszuüben.

Der Fall

Übersicht
Die Klientin, die ich Andrea nennen möchte, hatte einen aggressiven, missbrauchenden Vater und wurde von Geburt an Zeuge davon, dass ihre Mutter und ihre Schwestern wiederholt vergewaltigt und „verprügelt“ wurden. Sie wurde auch selbst geschlagen.  Dies führte zu einer generalisierten Angststörung und einer Angst vor etwas, das "größer" ist als sie selbst, sowie zu häufigen Panikattacken und Depressionen. Sie hatte wenig Orientierung in ihrem Leben, zeigte eine regressive biografischen Entwicklung, sodass sie noch im Alter von 33 Jahren einen jugendlichen Lebensstil führte. Ihr Leben war chaotisch, mit wenig Ordnung und Struktur (z. B. kein gleichmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus und war ständig bei den Sitzungen verspätet). Sie ist klein gewachsen, ihre Augen erinnerten mich an ein Botticelli-Gemälde, hatte dunkelbraunes, rötliches Haar und ein verspieltes Lächeln. Sie litt unter emotionaler Dysregulation und einem unkontrollierten Gedankenleben: "Es fällt mir schwer, meine Gedanken zu kontrollieren, und ich bin es immer mehr leid, ihnen zuzuhören, denn sie können mir alles Mögliche erzählen, deshalb vertraue ich ihnen nicht. Sie kommen einfach heraus und es ist eine ständige und anstrengende Arbeit, sie zu bewerten. Es ist, als hätte man Hunde im Kopf, die sich gegenseitig beißen, und ich habe Angst, mich in diesem Kampf zu verlieren." Ihre Angst führte häufig dazu, dass sie versuchte, unlösbare Lebensereignisse zu lösen, wenn solche auftraten, wodurch ihr zentrales Nervensystem überaktiviert und ihr Bewusstsein in einer willkürlichen Weise überflutet wurde. Selbst relativ unbedeutende Ereignisse, wie z. B. das Angebot einer Eintrittskarte für ein Konzert an ihrem freien Tag, konnte ein Chaos auslösen: "Ich wollte nicht denken ... ich dachte, dass ich gefährlich bin ... dass ich mir selbst nicht traue ... das Problem wuchs einfach und ich konnte keine klare Entscheidung treffen.“

Die Schaffung eines vertrauensvollen Arbeitsbündnisses

In der Therapie wurden zunächst die komplexen Symptome erkundet und ein vertrauensvolles psychotherapeutisches Arbeitsbündnis aufgebaut, um Andreas desorganisierten Bindungsstil anzugehen. Aber wie in allen Fällen eines frühen Lebenstraumas erlebte Andrea die Auswirkungen des Traumas sowohl körperlich als auch seelisch. Nicht nur ihr autonomes Nervensystem war aktiviert (2), sondern die Probleme erstreckten sich auch auf ihre inneren Organe, wie es der Begriff der allostatischen Belastung beschreibt (3). Sie erlebte eine Vielzahl von körperlichen Empfindungen, wenn sie aufgeregt war: ein bitterer Geschmack im Mund, Herzrasen, Zittern, eine hohe Konzentration des Gehirns, weil sie versucht, ihre Gedanken unter Kontrolle zu bringen, Schluckbeschwerden und Brennen in den Händen. Deshalb überwies ich sie an einen anthroposophischen Arzt, der sie internistisch behandelte. Eine anfängliche Medikation wurde mit dem Präparat Conchae durchgeführt, das ihr Denken vor den außer Kontrolle geratenen Gefühlen schützen sollte.

Zusammenspiel von Anthroposophischer Medizin und anthroposophischer Psychotherapie

Ich werde mich nicht auf die Medikamente konzentrieren, sondern auf die Psychotherapie und die Art und Weise, wie ich psychotherapeutisch auf Andrea einging, als die Medikamente die Probleme ansprachen und zu wirken begannen. Ihr Körper begann fieberhafte Krankheiten zu entwickeln, aber diese Krankheiten hatten auch eine positive Wirkung, da sie es ermöglichten, dass verschüttete Gefühle in ihr bewusstes Seelenleben eintraten. Die Medikamente lockerten Andreas Körper, der aufgrund des Traumas kalt und starr geworden war, wonach traumatische Erinnerungen in ihr bewusstes Seelenleben traten. Dies ermöglichte mir, einen psychotherapeutischen Heilungsraum zu gewinnen, in dem ein Übergang von der Krankheit zur Gesundheit stattfinden konnte.

Gedächtnis, Zusammenhalt, Musikalität als Zeichen der entstehenden Lebenskräfte

Der anthroposophisch-psychotherapeutische Raum gab Andrea die Möglichkeit, über die Veränderungen, die sie erlebte, zu sprechen. Sie begann Erfahrungen zu schildern, die sie nie zuvor beschrieben hatte. Sie erzählte mir zum Beispiel, wie sie eines Tages mittags aufwachte und sich auf den Tag freute, etwas Marihuana rauchte und etwas von Tom Waits auf ihrer Gitarre spielte. Sie war in einer traurigen, "Blues" Stimmung, und die Musik spiegelte dies wider, so dass sie eine Bach-Chaconne auf ihrer Geige spielte, die "sauber" war und ihr ein "ruhiges" Gefühl gab. Danach tauchte das Bild ihres Vaters auf, wo er ein Lied von Demis Roussos sang. Er weinte. Nachdem sie zunächst nicht hungrig war, fühlte sich ihr Mund bitter an, sodass sie zum Kühlschrank in der Küche ging, um zu sehen, was es zu essen gab. Sie konnte sich aber für Nichts entscheiden und ging dann weinend zurück ins Bett. Dies war das erste Mal, dass sie eine direkte Verbindung zwischen einer aktuellen  und einer früheren Erfahrung herstellte. Dieses Erlebnis zeigt, wie leicht ihre seelische Labilität ausgelöst werden konnte – in diesem Fall durch die Erinnerung an ihren missbrauchenden Vater – und wie sich dies auf ihr Handeln auswirkte. 

Dann tauchten weitere schwierige Kindheitserinnerungen auf – ihr Vater beschwerte sich über den "Lärm" ihrer Geige, wenn sie übte, ihr Vater sagte generell "kritische Dinge" , setzte sie herab und griff ihre Weiblichkeit als Teenager an, als sie ein Kleid und ein großes Hemd anzog , sich die Haare kämmte und er sie "eine Hure und eine Schlampe" nannte , sie trat und "auch sexuelle Dinge" erwähnte: "Selbst gute Erinnerungen werden schmutzig ... Als ich klein war, habe ich bei meinen Eltern geschlafen; ich erinnere mich deutlich daran, dass mein Vater meine Mutter vergewaltigt hat; sie sagte "bitte nicht" ... meine ältere Schwester kann sich daran erinnern, dass er mich anschrie, weil ich ununterbrochen weinte."   

Zunächst verstärkten sich die außer Kontrolle geratenen Gefühle von Andrea. In einer Sitzung (die wegen des ersten Lockdowns in Großbritannien 2020 nicht mehr in der Praxis, sondern per Telefon stattfand) sprach sie schnell, weinte und schrie über ein Szenario, in dem es einen Streit mit einer Freundin gab. Sie sprach etwa dreißig Minuten lang in hohem Tempo, laut und ohne Unterbrechung.

An einem bestimmten Punkt der Therapie kam ein neues Element hinzu. Zum ersten Mal hatte sie einige gute Erinnerungen. Zum Beispiel: "Sonntags gingen wir in die Kirche; ich erinnere mich an den Weihrauch und ein Gemälde an der Wand der Kirche; die Messe, das Weihwasser und sich bekreuzigen; ich hatte das Gefühl, dass ich in der Kirche bleiben wollte; irgendetwas in mir sagte mir, dass ich dort bleiben sollte."

Ergebnisse: die Vergangenheit und die Zukunft mit Mitgefühl und Vergebung in der Gegenwart festhalten.

Bei der Gesundung von Andrea gab es fünf Hauptaspekte. Erstens, die Entwicklung eines strukturierteren Lebens mit weniger Denkstörungen, einem besser organisierten Alltag und der regelmäßigen und pünktlichen Teilnahme an Sitzungen. Zweitens, eine klare Zukunftsorientierung als Lehrerin, die ein Studium an der Universität und bei Bedarf auch Vertretungsunterricht einschloss. Drittens, die besprochenen Erinnerungen, die eine bewusstere und vollständigere Lebenserzählung ermöglichten: "Wir können unsere eigene Identität erst dann wirklich erfahren, wenn wir unsere Erinnerungen herausgearbeitet haben und diese Erinnerungen für uns offen zugänglich sind." (4) Viertens hat sich die Einstellung zu ihrem Vater geändert. An einem bestimmten Punkt in der Therapie fragte sie mich, ob sie ihren kranken, im Sterben liegenden Vater in einem Heim besuchen solle, da sich die meisten Familienmitglieder, außer einer viel älteren Schwester, weigerten ihn zu besuchen. Ich schlug ihr vor, drei Nächte lang vor dem Schlafengehen meditativ an ihn zu denken und dann die Entscheidung zu treffen (5). Sie beschloss, ihn aufzusuchen. Dann begann sie, ihn zu pflegen. Sie wechselte seine "Windeln" und interessierte sich auch für seine Biographie. Er wurde 1930 in Libyen geboren und kam 1941 oder 1942 nach Italien, als Libyen zum Kriegsgebiet geworden war. Nach dieser Sitzung schickte sie mir eine Nachricht, in der sie mir mitteilte, dass ihr Vater im Sterben lag, zusammen mit einem entzückenden Bild ihres Vaters, der sie im Alter von etwa fünf Jahren im Arm hält. Sie war in der Lage, ihm trotz des Missbrauchs zu vergeben und eine moralisch fürsorgliche Haltung ihm gegenüber einzunehmen, was eine wichtige spirituelle Geste ist.  Fünftens die Übernahme einer größeren Verantwortung für das Weltgeschehen (I). Es ging darum, die biographische Regression umzukehren und ihrem ewigen geistigen Ich zu erlauben, "sich selbst die psychologischen Kräfte unterzuordnen ... Dies kann sowohl zu dem führen, was wir Voraussicht genannt haben, als auch zur Verwirklichung von bewusst ergriffenen geistigen Zielen." (6) Dies zeigte sich in der Art und Weise, wie sie den Sterbeprozess ihres Vaters begleitete, ihm sein missbräuchliches Verhalten verzieh und ihrem Leben eine klare, zukunftsorientierte Richtung gab. Sie entwickelte ein größeres Verantwortungsgefühl für andere und die Welt, was sich in ihrer Entscheidung zeigte, Lehrerin zu werden, sich um ihren Vater zu kümmern und das Leben und die Krankheit ihres Vaters in einen historischen Kontext zu stellen.

Psychotherapeutische Interventionen

Zur Unterstützung der medizinischen Behandlung waren häufige psychotherapeutische Sitzungen erforderlich, um Andreas Leben mit den durch die medizinische Behandlung hervorgerufenen Veränderungen in Einklang zu bringen. Es ging darum, ihr Seelenleben zu stabilisieren, denn die Gesundung kann stürmisch sein, da sie einen Schritt ins Ungewisse bedeutet, weil sie die "Komfortzone Krankheit" verlässt: "Gerade der psychisch Abnorme fühlt gewisse Befriedigungen in seiner abnormen Seelentätigkeit und verlässt sie daher so ungern" (7).  

Darüber hinaus besteht ein übergeordnetes Prinzip anthroposophisch-psychotherapeutischer Interventionen darin, die miteinander zusammenhängenden Erzählungen der Patientin auf kohärente Weise zu integrieren, ein aufmerksamer teilnehmender Beobachter zu sein und bedeutsame Phänomene zu bemerken, die von der Klientin im klinischen Prozess mitgeteilt oder demonstriert werden, sowie das Geschehen vom Standpunkt des anthroposophischen Menschenbildes aus im Auge zu behalten, die Aufmerksamkeit der Klientin auf die Phänomene zu lenken und dabei, falls angemessen, begriffliche Erklärungen einzubeziehen, wenngleich dies nicht immer notwendig oder hilfreich sein mag.

In Andreas Fall gab es viele solcher Phänomene, von denen einige hier erwähnt wurden – die einfühlsame Beschreibung ihres Gedankenlebens, das Auftauchen beunruhigender Erinnerungen und vor allem ihre Fähigkeit , zu zeigen, wie ihr gegenwärtiges Erleben von Erinnerungen unterhalb der Bewusstseinsebene beeinflusst wurde, die in unerwarteten Momenten ins Bewusstsein einbrachen und eine starke Wirkung auf ihren gegenwärtigen Geisteszustand haben konnten, sowie vom Auftauchen guter Erinnerungen und dem Umgang mit dem Tod ihres missbrauchenden Vaters mit Liebe und Vergebung. Ich kommentierte diese Phänomene auf verschiedene Art und Weise, um deutlich zu machen, dass der Lebensleib, der ihr Seelenleben untermauert, stärker wurde, wodurch ihre Erinnerungen gestärkt wurden und ihr inneres Selbst die Fähigkeit erhielt, die Führung über ihr Leben zu übernehmen.

Dies führt zum nächsten Punkt, nämlich das Anerkennen und die Realisierung ihrer geistigen Wesenheit, im Sinne der Ich-Organisation. Damit zu arbeiten ist ein wesentlicher Aspekt der anthroposophischen Psychotherapie.  Schon in den ersten Sitzungen wurde deutlich, dass Andrea eine sehr begabte und einfühlsame Person ist. In der ersten Sitzung hatte sie von ihren Versuchen gesprochen, "eine andere Art von Projekt mit einer anderen Art von Sprache zu schaffen". Später gab sie mir ein schönes Beispiel. Ihre jüngere Schwester mit Down-Syndrom konnte ihre Arme nicht heben und niemand konnte ihr helfen, aber Andrea half ihr innerhalb von zehn Minuten, indem sie kleine Sterne auf ihre Fingernägel setzte und sie ermutigte, ihre Arme nach oben zu strecken. Ein weiteres Beispiel ereignete sich im Jahr 2020, als sie, anstatt den Kindern Anweisungen zum Tragen von Masken zu geben, wie es ihr in einem Kurs gesagt wurde, Maskenspiele für sie entwickelte. Diese Beispiele zeigten, dass ihr geistiges Selbst trotz des Traumas noch immer in der Lage war, ihr Leben auf höchst kreative Weise in die Hand zu nehmen.

Entsprechend dem biographischen Alter von Andrea übernahm ich die Verantwortung für die zeitweilige, aber häufige Vertretung von unentwickelten Aspekten ihres Seelenlebens, um ihrer Erzählung mehr Zusammenhalt und Verständnis zu verleihen, indem ich Zeit (manchmal mehr als eine Sitzung) damit verbrachte, sie zu bitten, sich an Situationen und Ereignisse aus ihrem Leben zu erinnern, einschließlich einer Reihe von Sinneseindrücken, bis ich ein klares geistiges Bild von dem hatte, worauf sie sich bezog, als wäre ich "eine Fliege an der Wand" (II). Damit wird die Bedeutung der Entwicklung von Bildvorstellungen in der therapeutischen Arbeit berücksichtigt. Bei der Einführung dieses Prinzips zitiert Dekkers (8) Rudolf Steiner, der uns ermutigt, "uns in der Phänomenologie zu schulen, um ein 'Zusammenwachsen' mit den Phänomenen der uns umgebenden Welt zu erreichen". Es kommt dabei zu einem Moment, in dem wir nicht auf verbale Bilder angewiesen sein sollten. Mit diesem verstärkten Erinnern wächst unser Interesse an der äußeren Welt. Es war auch notwendig, sich Zeit bei der Schilderung von Situationen und Ereignissen zu nehmen, denn beim Beginn der Behandlung, bestand eine chaotische Kommunikation und Verwirrung auf Grund der Tatsache, dass Englisch ihre zweite Sprache war, wobei sie sich oft unklar und inkohärent ausdrückte, wenn sie emotional erregt war. Beispiele dafür waren das Ereignis mit den Konzertkarten, sowie der Morgen, an dem sie Stücke von Tom Waits und Johann Sebastian Bach spielte (4).

Letztendlich hatte die therapeutische Beziehung während der gesamten Behandlung drei wichtige Elemente. Erstens wandte sie das allgemeine therapeutische Prinzip des Containments an, mit dem versucht wurde, den Mangel an mütterlichem Halt, kongruenter Spiegelung und Verständnis (aufgrund der Traumatisierung der Mutter) in den ersten sieben Lebensjahren zu ersetzen. Andrea hatte klugerweise auch Maßnahmen ergriffen, um sich selbst abzuschirmen, indem sie beschloss, zum Zeitpunkt des ersten Lockdowns in Großbritannien 2020 bei ihrer Herkunftsfamilie in Italien zu leben. Zweitens wurde oft die Führung in den Sitzungen übernommen, um die emotionale und seelische Instabilität und die Bindungserregung von Andrea zu stabilisieren. Ein Beispiel dafür war, als sie zu Beginn einer Sitzung etwa dreißig Minuten lang laut sprach. Ich griff ein und sprach mit fester, aber ruhiger Stimme, und wenn ich das tat, beruhigte sie sich stets und hörte aufmerksam zu. Dies wird als das pädagogische Gesetz bezeichnet, mit dem mein Ich dem psychisch gestörten Verhalten von Andrea eine Richtung gab (9). Drittens fasste ich die Sitzungen häufig zusammen, bewertete den Fortschritt und verknüpfte die Sitzungen miteinander, da sie oft von den Ereignissen überwältigt war, um eine starke biographische Erzählung zu konstruieren (4). Dies hatte zum Ziel, salutogenetische Kohärenz zu schaffen, indem sie Zusammenhänge in ihrer Biographie verstand, deren Bedeutung erkannte und sie dadurch leichter bewältigen konnte (10). Es ging darum, die Kohärenz der Lebensereignisse als Ergebnis des Verstehens, der Sinngebung und des Umgangs mit ihnen sehen zu können.

Zusammenfassung

Wie bereits angedeutet, soll dieser Bericht keine protokollierte allgemeine Art und Weise der anthroposophischen Psychotherapie darstellen, sondern lediglich die Art und Weise aufzeigen, wie ich sie durchführe. Obwohl es gemeinsame Elemente gibt, die von allen anthroposophischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten verwendet werden – ein Verständnis des dreigliedrigen und viergliedrigen menschlichen Wesens und ein Verständnis der Biographie – wird jede Therapeutin und jeder Therapeut diese Prinzipien an ihren und seinen eigenen individuellen Stil anpassen.

Anmerkungen

I. Im Sinne der anthroposophisch verstandenen Entwicklung ist dies eine Qualität, die sich insbesondere zwischen dem 35. und 42. Lebensjahr entwickelt und als Bewusstseinsseele bezeichnet wird. Andrea war inzwischen 35 Jahre alt geworden.

II. Diese Aspekte des Seelenlebens werden die Empfindungsseele und die Verstandes- oder Gemütsseele genannt.

Literaturverzeichnis

  1. Steiner R, Wegman I. Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst. GA 27. 8. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 2014, S. 7.
  2. Levine PA. In an Unspoken Voice: How the Body Releases Trauma and Restores Goodness. Berkeley, CA: North Atlantic Books; 2010.
  3. McEwen BS. Allostasis and allostatic load: implications for neuropsychopharmacology. Neuropsychopharmacology 2000;22(2):108-124. DOI: https://doi.org/10.1016/S0893-133X(99)00129-3.[Crossref]
  4. Dekkers A. A Psychology of Human Dignity. Great Barrington, MA: Steiner Books; 2015, S. 15.
  5. Steiner R. Esoterischen Betrachtungen karmischer Zusammenhänge. Bd. 2. GA 236. 6. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1988, S. 119–120.
  6. Treichler R. Psychiatry. In: Husemann F, Wolff O (Hg.). The Anthroposophical Approach to Medicine. Bd. 3. New York: Anthroposophic Press; 1989, S. 255-379.
  7. Steiner R. Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Bd. III. Die Wirklichkeit okkulter Impulse. GA 173c. 5. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 2014, S. 71.
  8. Dekkers A. The journey from word images to pictorial images. Beitrag in Vorbereitung (2022, S. 2–3).
  9. Steiner R. Heilpädagogischer Kurs. GA 317. 8. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1995.
  10. Antonovsky A. Health, Stress and Coping. San Francisco: Jossey-Bass Publishers; 1979.

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

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