Die depressiven Erkrankungen

Markus Treichler

Letzte Aktualisierung: 30.11.2021

„Die Krankheit Depression bleibt ein großes Mysterium. Sie hat der Wissenschaft die Geheimnisse sehr viel widerstrebender preisgegeben als viele andere große Krankheiten, die uns heimsuchen. Schwermut umgab mich, ein Gefühl von Furcht und Entfremdung und vor allem von erstickender Angst.“ William Styron (1)

Das Krankheitsbild der Depressionen (2) zählt zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere und Folgen für Betroffene und Angehörige am meisten unterschätzten Krankheiten. Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren 2015 rund 322 Millionen Menschen weltweit betroffen, 4,4 Prozent der Weltbevölkerung. Das waren 18 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor (3). In Deutschland erkranken innerhalb eines Jahres 8,2 Prozent der Bevölkerung an einer behandlungswürdigen Depression, das sind rund 7 Millionen Menschen.
Um die weltweite Belastung durch Krankheiten zu messen, addiert die WHO die Jahre, die Menschen mit einer bestimmten Krankheit leben (Years Lived with Disability). Im Fall der Depressionen kommt sie auf 50 Millionen Jahre. Das sind 7,5 Prozent aller Krankheitsjahre – mehr als jede andere Krankheit zur Statistik beiträgt (4). 
Diese wenigen statistischen Zahlen machen die Bedeutung der depressiven Erkrankungen deutlich. Sie sind eine Herausforderung für alle: für die Betroffenen und deren Angehörige, für die Medizin, die Psychotherapie und alle Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten, die sich um ein Verständnis und eine Behandlung dieser Erkrankung bemühen. Deshalb ist es naheliegend, dass auch die Anthroposophische Medizin zum Verständnis und zur Therapie der depressiven Erkrankungen etwas beizutragen hat.

Zur Symptomatik und Pathogenese der Depressionen

Zur Symptomatik

Die depressiven Erkrankungen zeigen sich vielgestaltig. Neben den in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) aufgelisteten Hauptsymptomen „gedrückte Stimmung, eine Verminderung von Antrieb und Aktivität und eine Beeinträchtigung der Fähigkeit sich zu freuen, eine Verminderung an Interesse und Konzentration“ (2), kommen eine Vielzahl an begleitenden Symptomen hinzu, die sich aus den Hauptsymptomen herleiten oder diese ergänzen. Doch ergeben diese Additionen von Symptomen kein echtes Krankheitsbild, in dem sich etwas vom Wesen der Depression (5, 6, 7, S. 370-387) ausdrücken könnte. Dazu bedarf es einer phänomenologischen Betrachtung der depressiven Phänomene, die sich aus den Gesichtspunkten der anthroposophischen Psychiatrie in verschiedene Ebenen gliedern lassen (7, S. 379 ff):

  1. Körperliche (organisch-funktionelle) Ebene
  2. Seelische Ebene: vor allem in Gedankenleben, Gefühlsleben und Willensleben
  3. Beziehungsebene (psychosoziale Ebene)
  4. Biografisch-spirituelle Ebene

1. Die körperliche Ebene: Die depressiven Erkrankungen sind in Symptomatik und Beschwerdebild nicht allein auf die Seele beschränkt. Vielmehr zeigen sich depressive Störungen immer auch im leiblichen Erleben, oft auch in organisch-funktionellen Beeinträchtigungen. Allgemein zeigen sich diese häufig als Schweregefühl, Mattigkeit, Müdigkeit, Kraftlosigkeit und Erschöpfung, in Verlangsamung und Verspannungen, in Schmerzen, Stagnation und Erstarrung, in Appetitlosigkeit und Obstipation, in Schlafstörungen und verminderter Sexualität und Vitalität. Von organisch-funktionellen Störungen können Kopf, Atmung und Kreislauf, Verdauung, Rückenmuskulatur und Gliedmaßen betroffen sein.

2. Die seelische Ebene: Die eigentliche und wesentliche seelische Symptomatik kann in die drei Grundfähigkeiten der Seele differenziert werden:

  • Gedankenleben: Im Denken zeigen sich eine Verlangsamung, Gedankenkreisen und Grübeln, Fixierung auf negative, pessimistische Gedanken, Gedanken von Hoffnungslosigkeit, Selbstverachtung und Sinnlosigkeit.
  • Gefühlsleben: In den Gefühlen und Stimmungen zeigen sich Freudlosigkeit und Lustlosigkeit, oft grundlos traurig-deprimierte Stimmungen, das „Gefühl der Gefühllosigkeit“, Ängste, Sorgen und Phobien, Schuldgefühle, Versagensängste und Verzweiflung.
  • Willensleben: Im Wollen und Handeln/Verhalten zeigt sich auffallend, dass den Betroffenen alles schwerer fällt als früher. Es beginnt beim morgendlichen Aufstehen, verrät sich bei jeder anstehenden Entscheidung, zeigt sich in allen Aktivitäten, führt zu Entscheidungsunfähigkeit, Antriebslosigkeit und schließlich zu Lethargie bis hin zum Stupor. Die Willenskraft ist gelähmt.

3. Die Beziehungsebene: Auffallend bei depressiv Kranken ist, dass das Beziehungsleben, die psychosozialen Kontakte geprägt sind von sozialem Rückzug, der Angst vor Begegnungen und Beziehungen, die Sorge, zur Last zu fallen, das Gefühl, nicht verstanden zu werden, das Erleben, nutzlos zu sein, und deshalb „verschwinden“ zu wollen. Neue Begegnungen werden vermieden, alte Beziehungen nicht mehr gepflegt. Es entwickelt sich ein Rückzug in Einsamkeit und ein Empfinden von Nicht-verstanden-werden.

4. Die Biografisch-spirituelle Ebene: Es ist die Ebene, in der sich das geistige Ich des Menschen ausdrückt und verwirklicht – in Lebensstil und Lebensgestaltung, in der inneren Haltung (siehe auch 8, S. 161-195) und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, in der persönlichen Biografie, im Schicksal. Hier erleben wir bei depressiv Kranken eine starke Selbstwertproblematik, Selbstzweifel, Angst und Zweifel an der eigenen Lebensbewältigung, Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Lebens und der Erkrankung, Verzweiflung am Schicksal, Lebensmüdigkeit und Suizidalität. Es kann zu einer oft erschütternden und abgrundtiefen Infragestellung von Wert und Sinn des Lebens und der Lebensleistung kommen, die im Rahmen schwerer depressiver Erkrankungen aus Verzweiflung zu Lebensmüdigkeit und Suizidalität führen kann.  

Zur Pathogenese

Die heutige Psychiatrie gliedert die depressiven Erkrankungen nicht mehr nach Ursachen, sondern nach Schweregrad und Verlauf (2). Die anthroposophische Psychiatrie bemüht sich um ein Verständnis des Wesens der Depression. Sie versucht von der Pathologie zu einem Verständnis der Pathogenese zu kommen: Wie und wodurch entsteht das Krankheitsbild?
Was drückt sich in den Symptomen in den vier Ebenen aus, welche Prozesse sind in ihnen erkennbar? Wie kann daraus eine Therapie abgeleitet werden?  

Die Pathogenese beschreibt den Entstehungsweg des Krankheitsbildes im Menschen. Die Ätiologie beschreibt die Ursachen bzw. Anlässe, die eine Pathogenese auslösen. Diese Anlässe können sehr verschieden sein. Bei den depressiven Erkrankungen können es beispielsweise Enttäuschungen oder Überforderungen, Verlusterlebnisse oder Traumata, Konflikte oder Veränderungen sein, aber auch das Erleben der Unerreichbarkeit eines vorgestellten und angestrebten Perfektionismus. Die meisten Anlässe liegen außerhalb des Menschen, doch immer ist es der Mensch mit seiner Konstitution, der auf die Anlässe antwortet oder reagiert. Die Pathogenese ist ein Prozess der Antwort des menschlichen Gesamtorganismus aus Leib, Seele und Ich auf Anlässe des Lebens. Das dann entstehende Krankheitsbild kann als Ausdruck einer nicht angemessenen Antwort bzw. einer noch nicht gelingenden Bewältigung verstanden werden. Insofern liegt darin einerseits ein Zeichen des (vorübergehenden) Unvermögens, andererseits auch ein Zeichen des therapeutischen Bedarfs.

Vom Wesen der Depression

Was geschieht in der Pathogenese einer depressiven Erkrankung, welche Kräfte oder Prozesse führen zu den typischen depressiven Symptomen? Die oben erwähnten Symptome auf leiblicher, seelischer, psychosozialer und spiritueller/biografischer Ebene sprechen eine deutliche Sprache, sie drücken aus, welcher Prozess sie bildet.

In den Hauptsymptomen, wie sie auch die ICD-10 nennt (2) – niedergedrückte (depressive) Stimmung, Interessen- oder Freudeverlust an Aktivitäten, Antriebsverminderung oder gesteigerte Ermüdbarkeit –, wie auch in den fakultativen Symptomen – Verlust von Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, suizidale Gedanken, Konzentrationsstörungen und Unentschlossenheit, psychomotorische Agitiertheit oder Hemmung, Schlafstörungen und Appetitstörungen –, und auch in weiteren depressiven Symptomen, wie sie oben genannt wurden, ist typischerweise eine Tendenz der Hemmung, des Lastens oder Niederdrückens und der Verlangsamung zu erkennen. Man kann darin die Wirksamkeit der Schwere als depressives „Urphänomen“ erkennen. Alle genannten depressiven Symptome lassen sich ableiten aus den Folgen einer im Übermaß wirkenden Schwere: am Leib, in der Seele – im Denken, Fühlen, in Stimmungen und im Wollen und Handeln – sowie in den psychosozialen Beziehungen und im Gestalten und Bewältigen der je eigenen Biografie. Das Erleben der Schwere an Leib und Seele drückt sich in den vielfältigen Symptomen depressiven Krankseins aus.

Die Schwere ist das konstitutive, das bestimmende Element des Depressivseins (9, 10, 7, S. 370 ff); es ist „das Wesen der lastenden Schwere“, das zu den typischen depressiven Symptomen führt (9, 10, 7, S. 370 ff). Diese Schwere ist Ausdruck primär physischer Kräfte, die in der weiteren differenzierten Ausgestaltung eines individuellen depressiven Krankheitsbildes von auslösenden Erlebnissen einerseits, und von inneren Organkräften andererseits in vielfältiger Weise variiert werden können.

Aus diesem angedeuteten Krankheitsverständnis der Depression (7, S. 370-387) als einer Dominanz von Schwereerleben am Leib und im Seelischen lässt sich ein therapeutischer Bedarf ablesen: Überwindung der Schwere und des daraus folgenden Gehemmtseins, Aufhellung und Erleichterung des Erlebens und der Stimmung. Schwere wird immer auch mit Dunkelheit, Last und Bedrohung assoziiert. Diese therapeutischen Grundsätze werden in der Anthroposophischen Psychiatrie in verschiedenen Ebenen verwirklicht.

Zur Therapie der Depressionen

„Abgesehen von den Ursachen der Depression, die im Allgemeinen sowohl biologisch-physischer als auch psychosozialer Natur sind, bildet ein spezifischer Aspekt oft ein großes Problem in der Behandlung: Viele depressive Patienten erkennen nicht, dass sie an einer Depression leiden. Sie fühlen sich niedergeschlagen, verzweifelt, minderwertig, schuldig, schlecht oder verloren, ohne dass sie begreifen, dass ihre Gefühle durch eine Krankheit verursacht sind: die Depression.“ (11)

Entsprechend dem ganzheitlichen Menschenbild und Krankheitsverständnis der Anthroposophischen Medizin und Psychiatrie sind auch die therapeutischen Möglichkeiten und Angebote ganzheitlich und auf die verschiedenen Ebenen des Menschseins bezogen. Hier ist im Vergleich zu der oben genannten Beschreibung der vier Ebenen eine etwas andere Betonung vorzunehmen, da der dargestellte Aspekt der Therapie eine andere Gewichtung verlangt als der vorige Gesichtspunkt der  Krankheitsphänomene. Deshalb unterscheiden sich die Ebenen 2 und 3 – für die Therapie gewinnt die funktionelle Ebene eine besondere Bedeutung durch vielfältige therapeutische Möglichkeiten. Während hier die seelische und die psychosoziale Ebene zusammengefasst und gemeinsam behandelt werden können.

  1. Die physische/körperliche Ebene: physiologische und körperbezogene Therapien
  2. Die funktionelle Ebene: medikamentöse Behandlung
  3. Die seelische und psychosoziale Ebene: Kunst- und kreative Therapien, psychosoziale Unterstützungen, Gruppentherapien, Selbsthilfegruppen
  4. Die biografische und spirituelle Ebene: Psychotherapie, therapeutische Gespräche mit biografischen Aspekten, spirituelle Therapien, Anthroposophische  Psychotherapie

Zu I. Physiologische und körperbezogene Therapien

Hierunter sind sehr viele und verschiedene therapeutische Interventionen und Angebote zu verstehen: von Morgenlauf, früh aufstehen, Bewegungstherapien, Schwimmen, Bäder, Auflagen und Organeinreibungen, diätetische Empfehlungen, Lichttherapie bei saisonaler Depression, bis zum „therapeutischen Schlafentzug“ (Wachtherapie). Die in allen diesen Maßnahmen tragende therapeutische Idee ist die einer Unterstützung oder Anregung zur Überwindung der Schwere , des Erlebens von Schwere als Trägheit, Hemmung, Stagnation und Dunkelheit an Leib und Seele. Schließlich kommt der Förderung der Lebensrhythmen eine therapeutische Bedeutung zu.

Zu II. Die medikamentöse Behandlung

Die medikamentöse Therapie mit allopathischen Antidepressiva soll hier nicht besprochen werden, sondern spezifische Hinweise auf anthroposophische Arzneimittel gegeben werden. Das therapeutische Ziel ist Anregung, Aufhellung – nicht zufällig werden die Antidepressiva als „Stimmungsaufheller“ bezeichnet – und Erleichterung sowohl körperlichen wie seelischen Erlebens unter den Aspekten von Schwere, Verlangsamung und Stagnation. In diesem Sinne wirken (12, 13):

Bei depressiven Symptomen in Zusammenhang mit dem Herzen, wie z. B. Morgentief als typisch schwere, depressive Stimmung, mit Angst vor dem Tag, Selbstvorwürfe, Schuldgefühle, existenzielle Angst, Verzweiflung, Todeswünsche, Suizidalität:

  • Aurum metallicum praep. in höheren Potenzen (D12, D15, D20 bis D30) Trit., Amp. WELEDA: bevorzugt morgens oral als Trituration 1 Msp. oder als s.c.-Injektion
  • Hypericum, Hypericum Auro cult. Rh D3 WELEDA: 3 x tgl. 10 – 20 Tr.

Bei funktionellen Herzbeschwerden und Ängsten:

  • Aurum/Lavandula Rosae aeth. comp. Salbe WELEDA: auf die Herzgegend aufstreichen,  bevorzugt abends, aber auch morgens bei entsprechenden Beschwerden.

Bei depressiven Symptomen in Zusammenhang mit den Lungen, wie z. B. phobische Ängste, zwanghafte Befürchtungen, anankastisches Verhalten, melancholisch-zwanghaft-verschlossen-perfektionistische Züge:

  • Ferrum sidereum D20 Tbl. WELEDA: morgens 1 Tbl.
  • Mercurius vivus nat. D12 Trit., Amp. WELEDA: morgens 1 Msp. oder 1 s.c.-Injektion

Speziell bei phobischen Ängsten:

  • Skorodit D10 Trit. WELEDA zusammen mit
  • Quarz D20 Trit. WELEDA: morgens je 1 Msp.

Bei depressiven Symptomen in Zusammenhang mit der Leber, wie z. B. frühmorgendliches Erwachen zwischen zwei und vier Uhr, ein Morgentief sowie Kraftlosigkeit, Erschöpfung, Müdigkeit, Mattigkeit, Antriebslosigkeit, Apathie, Entscheidungsschwäche, Lustlosigkeit, Willensschwäche, Lebensmüdigkeit:

  • Hepar-Magnesium D4 Amp. WELEDA: je nach Schwere abends 1 x tgl. bis 3 x wöch. 1 Amp. als s.c.-Injektion
  • Hepar-Stannum D4 Amp. WELEDA: abends 3 x wöch. 1 Amp. s. c.
  • Cichorium D3 oder Chelidonium D3 oder
  • Chelidonium Ferro cultum Rh D3 Dil. WELEDA oder
  • Choleodoron® Tr. WELEDA: 3 x tgl. 10 – 20 Tr.
  • Hepatodoron® Tbl. WELEDA: abends 2 Tbl.  
  • Leberwickel mit Schafgarbe oder Oxalis .
    Zur Durchführung siehe https://www.pflege-vademecum.de/schafgarben_leberwickel.php  

Bei depressiven Symptomen in Zusammenhang mit den Nieren, wie z. B. innere Anspannung, Unruhe, Agitiertheit, Erregung oder stuporöse Zustände, Aggressivität und hypochondrische Symptome:

  • Cuprum metallicum praep. D6 Amp. WELEDA oder
  • Chamomilla Cupro culta, Radix Rh D3 Flüss. Verdünnung WELEDA oder
  • Melissa Cupro culta Rh D3 Flüss. Verdünnung WELEDA: je nach Ausprägung der Symptomatik 2 – 3 x tgl. 10 – 20 Tr.
  • Ingwer-Nieren-Wickel.
    Zur Durchführung siehe https://www.pflege-vademecum.de/inw.php  
  • Als stimmungsaufhellendes Medikament Hypericum in hoher Dosierung: 900 mg tgl. in 1 oder 2 Gaben zur seelischen Stabilisierung.

Bei Stimmungswechseln und Stimmungslabilität:

  • Aurum/Stibium/Hyoscyamus Glob. velati, Amp. WALA: 3 x tgl. 10 – 20 Glob. bzw. Tr. oder 1 Amp. tgl. – 3 x wöch. s.c.

Bei Schlafstörungen und zum besseren Erwachen:

  • Phosphorus D6: morgens 5 – 7 Tr. und Phosphorus D25/Malva 5% Dil. WELEDA: abends 20 Tr.  

Zur inneren Aufhellung:  

  • Phosphorus D10: morgens 10 Tr.

Zur Anregung von Eigenkräften:

  • Argentit D6 Trit. WELEDA: morgens und abends 1 Msp.

Gegen Erschöpfung und Gefühle von Sinnlosigkeit:

  • Ferrum sidereum D20 Trit. Amp. WELEDA: morgens 1 Msp. oder 1 Amp. s.c.

Zusammensetzung der genannten Arzneimittel: Aurum/Lavandula Rosae aeth. comp. Salbe: Aurum metallicum praeparatum Dil. D4 1 g, Lavandulae aetheroleum 0,03 g, Aetheroleum extractum e floribus recentibus Rosae damascenae et centifoliae. Hepar-Magnesium D4: Hepar bovis – Magnesium hydroxydatum (6:4) Dil. D4. Hepar-Stannum D4: Hepar bovis – Stannum hydroxydatum (8:2) Dil. D4. Choleodoron®: Chelidonium majus Ø, Curcuma xanthorrhiza, ethanol. Decoctum Ø (=D1). Hepatodoron®: Fragaria vesca, Folium sicc. / Vitis vinifera, Folium sicc. Aurum/Stibium/Hyoscyamus Amp.: Aurum metallicum Dil. D9; Hyoscyamus niger ex herba ferm 33d Dil. D4 (HAB, Vs. 33d), Stibium metallicum Dil. D7, Natriumchlorid, Natriumhydrogencarbonat, Wasser für Injektionszwecke.

Die genannten anthroposophischen Medikamente stellen eine kleine Auswahl aus der Erfahrung in klinischer und ambulanter Behandlung depressiver Menschen dar, sie sind keine vollständige Aufzählung. Die Indikation zur Anwendung der verschiedenen Präparate erfolgt nach der erlebten Symptomatik bei den Betroffenen, die in Zusammenhang mit den in die Seele hereinwirkenden organischen Kräften zu sehen ist (ausführlich beschrieben in 8, S. 67-76, 7, S. 255-271 und S. 370-387, 12, S. 854-964, 13). Hierbei kommen insbesondere die seelischen Wirksamkeiten von Herz und Lungen, Leber und Nieren in Betracht (im Sinne einer Psychologie der Organe (8, S. 67-76, 7, S. 255-271), weshalb die Angaben hier entsprechend gegliedert sind. Die Zusammenhänge zwischen depressiver Symptomatik, Organwirksamkeit und Medikamenten sind in der genannten Literatur (9, 14, 15, 16, 17, 18) nachzulesen und werden hier nicht weiter ausgeführt. Aus der Darstellung der depressiven Symptome wird deutlich, dass eine depressive Erkrankung selten mit nur einem Organ in Zusammenhang steht. Meistens sind es mehrere der genannten vier Hauptorgane, die im Sinne eines psycho-organischen Kräftekomplexes (14) zusammenwirken und die seelische Symptomatik eines depressiven Krankheitsbildes (in einer Differenzierung der zugrunde liegenden Schwerewirkungen) prägen.

Zu III. Die Kunst- und kreativen Therapien

Kunsttherapeutische und kreative Verfahren wie das plastisch-therapeutische Gestalten in Ton, Stein oder Holz, therapeutisches Zeichnen, Maltherapie, Musiktherapie, therapeutische Sprachgestaltung, Schauspieltherapie, Eurythmietherapie, Tanztherapie und andere künstlerisch-therapeutische Verfahren haben sich heute in der ergänzenden Behandlung von depressiv Kranken im Sinne einer aktivierenden und übenden Therapie, oft auch im Sinne nonverbaler psychotherapeutischer Verfahren, gut bewährt. Sie ergänzen die vorgenannten Therapien, indem sie unmittelbar das seelische Erleben und die seelische Eigenaktivität der Patientinnen und Patienten ansprechen. Durch die beiden kunsttherapeutischen Wirkfaktoren von Ausdruck und Eindruck (7, S. 468-479) erfahren die Betroffenen durch die Ausdrucksmöglichkeit ihres Erlebens in einem künstlerischen Medium eine Erleichterung, Entlastung und eine Distanzierung. Durch den Wirkfaktor Eindruck wird ihnen eine im künstlerischen Medium mögliche Bewältigung ihres Erlebens angeboten sowie eine positive Selbsterfahrung, eine Erweiterung der Umgangs- und Integrationsmöglichkeiten von Schwere, Belastung und Leiden sowie eine Aktivierung von Ressourcen der Ich-Stärke.

Es können prinzipiell alle Kunsttherapien bei depressiven Patientinnen und Patienten angewandt werden. Die Differentialindikation orientiert sich mehr an den erkrankten Menschen und deren Zugang zu einer Kunst als an der Symptomatik. Diese findet in der Wahl der therapeutischen Mittel einer Kunst und in speziellen kunsttherapeutischen Interventionen ihre Berücksichtigung.

Bei den Kunsttherapien lassen sich die therapeutischen Ziele mit seelischer Aktivierung, Aufhellung und Bewältigung beschreiben.  

Zu IV. Die Anthroposophische Psychotherapie

Bei der Behandlung depressiv Kranker sind heute psychotherapeutische Verfahren nicht nur als Ergänzung einer pharmakotherapeutischen Behandlung, sondern als angemessene und notwendige Therapie allgemein anerkannt. Es können verschiedene psychotherapeutische Verfahren zur Anwendung kommen. In den zurückliegenden Jahrzehnten wurden insbesondere tiefenpsychologische und psychoanalytische Verfahren angewendet, dann zunehmend kognitiv-behaviorale – heute auch Schematherapie – und achtsamkeitsbasierte Verfahren wie z. B. Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT).

Im Folgenden werden spezielle Gesichtspunkte einer Anthroposophischen Psychotherapie angedeutet (15). Wesentlich für jede Psychotherapie ist eine vertrauensvolle und tragende therapeutische Beziehung (8, S. 126 ff).

Generell kann die psychotherapeutische Behandlung depressiver Patienten drei Ziele anstreben: 1. eine Linderung der depressiven Symptome, 2. eine Bearbeitung der auslösenden Situation wie Kränkung, Konflikt, Trauma, Verlust, Überforderung, 3. eine Reflexion und Bearbeitung der psychischen Persönlichkeitsstruktur, die zu einer depressiven Erkrankung disponiert (16, S. 309-325).

Für die Anthroposophische Psychotherapie können wir die ersten beiden Ziele in variierter Form ebenfalls anstreben. Dann ergeben sich zusätzlich entscheidende neue Aspekte.

Insgesamt können wir für die Anthroposophische Psychotherapie vier Ziele anstreben:
1. Eine Linderung der depressiven Beschwerden. 2. Eine Bearbeitung der auslösenden Situation wie Kränkung, Konflikt, Trauma, Verlust, Überforderung. 3. Eine spezifische Beachtung der depressiven Symptome als Ausdruck von Organwirksamkeiten im seelischen Erleben und Verhalten. Dazu können angemessene psychotherapeutische Interventionen im therapeutischen Gespräch zu einem neuen Verständnis der depressiven Beschwerden führen, wodurch die Patientinnen und Patienten eine bewusste Distanzierung von den Symptomen und eine neue Haltung der Erkrankung gegenüber entwickeln können. Diese psychotherapeutischen Schritte stehen in Ergänzung zu äußeren Anwendungen, anthroposophischen Medikamenten und Kunsttherapien und Eurythmietherapie, die ebenfalls unter diesen Gesichtspunkten angewendet werden können. 4. Eine Reflexion der individuellen leiblich-seelisch-geistigen Konstitution, der „Persönlichkeitsstruktur“ in einem größeren Sinn, insbesondere der seelischen Entwicklung und der biografischen Situation, die eine depressive Erkrankung als Antwort auf bestimmte Erlebnisse hervorgerufen hat. Diese Konstitution drückt sich seelisch in der inneren Haltung der Patienten aus, die sie der Erkrankung, ihrer auslösenden Situation, und der Bewältigbarkeit bzw. dem Leiden an der Nicht-Bewältigbarkeit und der eigenen Biografie gegenüber entwickeln können.

Die Ziele 3 und 4 stehen zu den Zielen 1 und 2 in komplementärer Ergänzung: Hier geht es nicht um das Erleben von Symptomen der Betroffenen, nicht um Aufarbeiten von Erlebtem, sondern um die Gesamtpersönlichkeit und die innere Haltung des Menschen der Erkrankung und dem Schicksal gegenüber. Die innere Haltung (8, S. 161-197) des Menschen ist eine Leistung des Ich in der Seele.  Sie erlaubt uns, bewusst oder unbewusst, alles Erlebte zu bewerten, zu beurteilen und ihm eine (individuelle) Bedeutung zu geben. Letztlich führt unser Bewerten des Erlebten und unser Bedeutunggeben (16, S. 309-325) zu dem persönlichen seelischen Erleben, zu den Gefühlen, die dann entweder als seelische Erkrankungen auftreten können – z. B. Angst, Depression, Überforderung, Zwänge –, oder eine Bewältigung des Erlebten ermöglichen. Insofern ist ein psychotherapeutischer Ansatz an der inneren Haltung der Patienten, wie wir es in der Anthroposophie-basierten Psychotherapie® (8, S. 161-197, 291-314) dargestellt haben, ein spezifisch anthroposophischer Ansatz, der gezielt die Ich-Wirksamkeit in der Seele anspricht, reflektiert und unterstützt, um auf diesem Weg Akzeptanz,  Neubewertung und Bewältigung der Erkrankung zu ermöglichen.

Um die therapeutischen Ziele bearbeiten und erreichen zu können, gibt es verschiedene psychotherapeutische Wege. Die Anthroposophie-basierte Psychotherapie® hat dafür spezielle Ansätze, Methoden, psychotherapeutische Interventionen und Übungen entwickelt (8, Kap. VII und IX).

Die psychotherapeutischen Ziele in Berücksichtigung mit dem konstituierenden Element der Schwere können mit Erhellen (Bearbeiten der Sinnhaftigkeit), (innerlich) Bewegen, Ertragenkönnen und letztlich Überwinden charakterisiert werden.

Zusammenfassung

Um Menschen mit depressiven Erkrankungen angemessen behandeln zu können, ist es notwendig, nicht nur depressive Symptome zu sehen und therapieren zu wollen, sondern das Wesen der depressiven Erkrankungen zu erkennen und ihren Sinngehalt in der Biografie der betroffenen Menschen zu berücksichtigen. Das Auftreten von Schwere im Leben eines Menschen hat immer Sinn und Bedeutung.

Die therapeutischen Ziele einer Überwindung der Schwere können in den erwähnten Therapien durch Aktivierung und Bewegung, durch Aufhellung und Klarheit, durch Anregung und Unterstützung auf körperlicher und funktioneller Ebene, wie auf seelischer und biografisch-spiritueller Ebene erreicht werden. Tragend sind dabei die therapeutische Beziehung, die therapeutische Haltung (8, S. 151 ff., 17) sowie ein gemeinsam zwischen Patientinnen, Patienten und Therapeutinnen, Therapeuten gefundenes Verständnis der Erkrankung und der anzustrebenden Therapieziele.

Depressionen sind schwere Erkrankungen, keine sinnlosen oder zufälligen Ereignisse im Leben. Depressionen haben einen Sinn und sie geben Sinn. Sie stellen durch ihr Auftreten im Leben, durch das Erleben der Schwere, oft die Sinnfrage an die Betroffenen – und sie können eine sinnstiftende Antwort erleben lassen. Dazu sollte eine gute Therapie den Weg ermöglichen. Anthroposophie-basierte Psychotherapie bietet in der psychotherapeutischen Arbeit an der inneren Haltung der Patienten den methodischen Weg, sich mit der Sinnhaftigkeit erlebend und erkennend zu beschäftigen.

Literaturverzeichnis

  1. Styron W. Sturz in die Nacht. Die Geschichte einer Depression. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1991: 17.  
  2. Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme. 10. Revision. German Modification (ICD-10-GM): F.32 depressive Episode; F.33 rezidivierende depressive Störung; F.34 anhaltende affektive Störungen. Köln: DIMDI 2020.
  3. World Health Organization. Depression and Other Common Mental Disorders. Verfügbar unter  https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/254610/WHO-MSD-MER-2017.2-eng.pdf (30.11.2021).  
  4. Verfügbar unter www.äerzteblatt.de/archiv.   
  5. Treichler M. Wenn die Seele Trauer trägt. Depressionen mitfühlen, erkennen, verstehen, behandeln. Esslingen: Gesundheitspflege initiativ; 2010.
  6. Treichler M. Sprechstunde Psychotherapie. Stuttgart: Urachhaus; 2007: 278-318.
  7. Fintelmann V, Treichler M. Seele & Leib in Gesundheit und Krankheit. Frankfurt: Info3 Verlag; 2019.
  8. Treichler M. Reiner J. Anthroposophie-basierte Psychotherapie. Salumed Verlag Berlin 2019.
  9. Siehe auch Kraus A. Sozialverhalten und Psychose Manisch-Depressiver. Stuttgart: Enke Verlag; 1977.
  10. Siehe auch Tellenbach H. Melancholie. Berlin, Heidelberg: Springer Verlag; 1983: 117-120.
  11. Kuiper PC. Seelenfinsternis. Die Depression eines Psychiaters. Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag; 1995: 9.
  12. Hier wird nur eine sehr kleine Auswahl an Medikamenten vorgestellt. Weitere Angaben zu Medikamenten siehe Treichler R. Grundzüge einer geisteswissenschaftlich orientierten Psychiatrie. In: Husemann F,  Wolff O (Hg.) Das Bild des Menschen als Grundlage der Heilkunst. Bd. II. Stuttgart: Freies Geistesleben; 1978: 854-964.
  13. Siehe auch Rißmann W. Depressive Störungen: Menschenkundliches Verständnis und Therapie mit anthroposophischen Heilmitteln und äußeren Anwendungen. Der Merkurstab 2006;59(5):407-413. DOI: https://doi.org/10.14271/DMS-18956-DE.
  14. Steiner R. Votum zur Psychiatrie. In: Physiologisch-Therapeutisches auf Grundlage der Geisteswissenschaft. GA 314. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1975: 262-270.
  15. Etwas andere Gesichtspunkte zur Psychotherapie sind vertreten bei: Roediger E. Anthroposophische Aspekte zur Psychotherapie der Depression. Der Merkurstab 2006;59(5):395-402. DOI: https://doi.org/10.14271/DMS-18954-DE.
  16. Lang H. Wirkfaktoren der Psychotherapie depressiver Erkrankungen. In: Lang H (Hg.) Wirkfaktoren der Psychotherapie. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann; 1994.
  17. Treichler M. Von der therapeutischen Haltung. Der Merkurstab 2012;65(6):528-533. DOI: https://doi.org/10.14271/DMS-20053-DE.

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

Weiterführende Informationen zur Anthroposophischen Medizin