Multiprofessionelle Konzepte und Therapieempfehlungen für Leitsymptome und -themen: Der CARE- und Redaktionsprozess

Matthias Girke, Georg Soldner

Letzte Aktualisierung: 17.07.2023

Anthroposophische Medizin

Anthroposophische Medizin ist eine multiprofessionelle, integrativ orientierte Heilkunst (1, 2). Sie richtet sich in Diagnostik und Therapie an einem Verständnis des Menschen aus, das nicht nur seinen Körper, sondern auch sein lebendiges, seelisches und geistiges Wesen umfasst. Die Berufsgruppen der

  • Ärztinnen und Ärzte
  • Pflegenden
  • Körpertherapeutinnen und -therapeuten
  • Eurythmietherapeutinnen und -therapeuten
  • Kunsttherapeutinnen und -therapeuten
  • Psychotherapeutinnen und -therapeuten
  • Seelsorgerinnen, Seelsorger und Spiritual Care-Expertinnen und -Experten

wirken in der Patientenversorgung in Klinik und ambulanter Medizin zusammen und bestimmen das jeweilige therapeutische Profil.

Der CARE-Prozess  

Die Entwicklung des Systems der Anthroposophischen Medizin (3, S. 57) besteht in der individuellen und multiprofessionellen Zusammenarbeit zur Entwicklung von Präventions- und Therapiekonzepten bei häufigen, bislang therapeutisch unbefriedigend behandelbaren Symptomen oder Erkrankungen und unbefriedigend gelösten Problemstellungen. Diese Konzepte verstehen sich als Beitrag zu einer integrativen medizinischen Versorgung, einschließlich edukativer Konzepte. Sie wollen verständlich, vermittelbar, in Praxis und Klinik implementierbar und wissenschaftlich evaluierbar sein.

Die multiprofessionelle Zusammenarbeit erfolgt innerhalb des CARE-Prozesses in internationalen Arbeitsgruppen. Diesen Arbeitsgruppen liegt eine gemeinsame Methodik zugrunde:

  • Inhaltlich konzeptionelle Arbeit an versorgungrelevanten Themen der Medizin.
  • Sammlung und Diskussion der Best Practice der Anthroposophischen Medizin unter Berücksichtigung der bestverfügbaren Evidenz. Dabei soll durch die Perspektiven und Wahrnehmungsebenen der unterschiedlichen Berufsgruppen vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Menschenbildes eine vertiefte Einsicht in das jeweilige Krankheitsbild oder die Problemstellung gewonnen und therapeutische Vorgehensweisen diskutiert und entwickelt werden.
  • Die Empfehlungen zur Arzneitherapie gründen sich auf die persönliche Expertise, auf das Vademecum Anthroposophische Medizin (4) mit dem dort beschrieben Vademecum-Prozess (5), auf die Studienergebnisse und dem Lehrmaterial der Anthroposophischen Medizin. Die Empfehlungen zur anthroposophischen Krankenpflege folgen entsprechend dem Pflegevademecum (6). Die weiteren Therapien wie Körpertherapie, Heileurythmie, Kunsttherapie und Psychotherapie orientieren sich an der individuellen Expertise, den Empfehlungen der Fach- bzw. Berufsverbänden und der derzeit vorliegenden Studienlage.
  • Die berufsgruppenspezifischen Therapien werden vor dem Hintergrund des anthroposophischen Krankheitsverständnisses und Therapiebedarfs gemeinsam diskutiert und weiterentwickelt.

Die Wirksamkeit, Effektivität und Sicherheit der Anthroposophischen Medizin und einiger ihrer Therapien, wie Misteltherapie, Heileurythmie, Öldispersionsbäder und andere, wurden in verschiedenen systematischen Übersichten und in einem Health Technology Assessment Report bewertet. Siehe unter: https://medsektion-goetheanum.org/forschung/system-assessment-reviews-research-methods/systematic-assessments-overviews.

Der Redaktionsprozess 

  • Die multiprofessionell und international zusammengesetzten Arbeitsgruppen haben die Möglichkeit, die Expertise externer Sachverständigen einzuholen. Hierzu ist der wissenschaftliche und international besetzte Beirat vorgesehen, zu dem auch die Patientenvertretung eingeladen wird. (Siehe auch: https://www.anthromedics.org/ueber_uns )
  • Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen sind über ein elektronisches Cloud-System den anthroposophisch erfahrenen Therapeuten einsehbar. Kommentare aus der weltweiten Kollegenschaft werden den CARE-Gruppen zugesandt, von ihnen bearbeitet und aufgenommen.
  • Es folgt ein redaktioneller Prozess durch Fachredakteure und Lektorat.
  • Nach der Textfreigabe durch das Editorial Board erfolgt die Veröffentlichung der Arbeitsergebnisse auf der Internetplattform Anthromedics.org zur eigenverantwortlichen Nutzung durch Ärzte und Therapeuten.
  • Die Veröffentlichungen erfahren ihre Reevaluation und Weiterentwicklung.

Literaturverzeichnis

  1. Kienle GS, Albonico HU, Baars E, Hamre HJ, Zimmermann P, Kiene H. Anthroposophic Medicine: an integrative medical system originating in Europe. Global Advances in Health and Medicine 2013;2(6):2031. DOI: https://journals.sagepub.com/doi/10.7453/gahmj.2012.087.[Crossref]
  2. Baars EW, Hamre HJ. Whole medical systems versus the system of conventional biomedicine: a critical, narrative review of similarities, differences, and factors that promote the integration process. Evidence-based Complementary and Alternative Medicine eCAM 2017. DOI: https://www.hindawi.com/journals/ecam/2017/4904930/.
  3. Steiner R. Die Weihnachtstagung zur Begründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft 1923/1924. GA 260. 5. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1994.
  4. Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland/GAÄD, Medizinische Sektion am Goetheanum (Hg). Vademecum Anthroposophische Arzneimittel. 4. Aufl. München: GAÄD; 2017.
  5. Hamre H. Bedeutung des Vademecum-Projekts. Der Merkurstab 2017;70(6):482-486.
  6. Vademecum Äußere Anwendungen in der Anthroposophischen Pflege: www.pflege-vademecum.de/ 

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

Weiterführende Informationen zur Anthroposophischen Medizin