Geburt durch Kaiserschnitt

Angelika Maaser, Justine Büchler, Merja Riijärvi, Angela Kuck, Johanna Hünig

Letzte Aktualisierung: 20.11.2020

Umhüllt, versorgt und geschützt lebt und wächst das ungeborene Kind in seiner eigenen Welt. Innig ist es mit der Mutter verbunden. Zunächst zart, dann zunehmend stärker nimmt es auch die Außenwelt wahr und immer deutlicher werden seine Reaktionen auf Stimmen, Berührungen und Klänge spürbar. Wenn die Zeit reif ist, beginnt ein feines Zusammenspiel für uns nicht vollständig ergründbarer Impulse, die mittels komplexer hormoneller Wechselwirkungen die Geburt einleiten.

Jede Geburt ist eine herausfordernde und existentiell bedeutsame Erfahrung und ein einmaliges Ereignis. Der Organismus von Mutter und Kind ist darauf ausgelegt, mit der Kraft der Wehen den kindlichen Impuls, auf diese Welt zu kommen, zu verwirklichen. Die Überwindung des engen und dunklen Geburtsweges vollendet den Übergang in die Erdenwelt. 

Wir dürfen darauf vertrauen, dass dieser natürliche Übergangsprozess einen guten Ausgang nimmt, insbesondere, wenn die Mutter beim Gebären und das Kind beim Geboren-Werden keine Störung erfahren und die überwältigende Kraft der Geburt gewürdigt und respektiert wird. 

Geburtshilfliche Notsituationen

In Einzelfällen ist die Geburt dennoch mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. Dies hat allgemein menschliche, individuelle und soziokulturelle Gründe. Unser aufrechter Gang bedingt die besondere Beckenstatik und fordert damit optimale geburtsmechanische Bedingungen, wie beispielsweise viel Bewegung und Vermeidung einer längeren Rückenlage. Die gegenwärtige Tendenz zu Bewegungsarmut im Alltag und problematischer Ernährung verstärken individuell diese Störanfälligkeit, da sie unter anderem zur Zunahme des Körpergewichts der Kinder führt, während zugleich die Flexibilität des mütterlichen Beckens abnimmt. 

Die soziokulturellen Gründe liegen im gewachsenen Verständnis von Geburtsbedingungen und Geburtsumgebung: Oft wird der Geburtsgedanke von Sicherheits- und Angstfragen bestimmt und die Geburt in einen medizinisch dominierten Raum verlagert – was das Vertrauen in die eigene Gebärfähigkeit erschüttern kann und oft die notwendige Ehrfurcht vor der Intimität und Abgeschirmtheit der Gebärenden und des Kindes vernachlässigt.

Wird die Geburt zu einer zu großen Belastung für Mutter oder Kind, kann sie die Gesundheit oder gar das Leben bedrohen. Die Möglichkeit, in solchen Situationen den vaginalen Geburtsweg zu umgehen und das Kind durch einen Kaiserschnitt zu retten, war einer der herausragenden Fortschritte der Geburtshilfe. Mit der Verbesserung der Operations- und Narkosetechnik sowie durch bessere Hygiene wurde der Kaiserschnitt zu einem effektiven Instrument zur Senkung der Häufigkeit von geburtsbedingten Erkrankungen oder Todesfällen. 

Wie bei allen neuen Verfahren – und als dieses muss der Kaiserschnitt trotz seiner antiken Wurzeln betrachtet werden – blieben die problematischen Aspekte der Operation zunächst unbekannt oder in der Euphorie über den großen Nutzen unbeachtet. Dies führte zu einem kontinuierlichen Anstieg der Kaiserschnittrate, sodass heute weltweit etwa jedes fünfte Kind (1) auf diese nicht natürliche Weise geboren wird (in Europa z.B. 16,1% in Island bis 56,9% (2)). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält fest, dass bei einer Kaiserschnittrate von mehr als 10 – 15 % die gesundheitlichen Nachteile für Mütter und Kinder bereits größer sind als der gesundheitliche Nutzen (3). 

Die Belege für die langfristigen gesundheitlichen Folgen einer solchen «Kaiserschnitt-Epidemie» mehren sich ständig: mittels Kaiserschnitt geborene Kinder haben ein erhöhtes Risiko, an Diabetes (4) zu erkranken und sie leiden häufiger an Allergien (5), Asthma (6), Übergewicht (7) und Herz-Kreislauferkrankungen (8) im späteren Leben. Auch den Müttern kann die Integration dieser möglicherweise traumatisierenden Erfahrung jahrelang schwerfallen (9). Sie haben länger Schmerzen, erkranken häufiger an Depressionen nach der Geburt (10) und haben mehr Komplikationen in Folgeschwangerschaften (11). 

Dem unstrittigen Nutzen der Operation durch die Senkung der Sterblichkeits- und Erkrankungsrate bei geburtshilflichen Notsituationen stehen erhebliche epidemiologische Nachteile gegenüber, die weit über die unmittelbaren Operationsfolgen für Mutter und Kind hinausgehen. Nicht absolut notwendige Kaiserschnitte stellen heute also ein ernst zu nehmendes Problem dar.

Wenn die Art und Weise, wie wir geboren werden, für uns individuell bereits so bedeutsam ist, stellt sich die Frage, wie sich die verschiedenen Geburtserfahrungen einer Geburt auf vaginalem Wege oder eben mit Kaiserschnitt auf unsere Kinder, Enkel und Urenkel – auf unsere Gesellschaft und unser Menschsein überhaupt auswirken. 

Kaiserschnitte können jedoch nicht einheitlich beurteilt werden. Sie werden aus grundsätzlich verschiedenen Motivlagen durchgeführt, die nichts miteinander zu tun haben und streng voneinander getrennt diskutiert werden sollten. Auch den vielfältigen Möglichkeiten, in der Schwangerschaft gute Bedingungen für die Geburt zu schaffen, kommt eine große Bedeutung zu. Dazu tragen beispielsweise Körperwahrnehmungsübungen, eine gute Verbindung von Mutter, Partner oder Partnerin und Kind zueinander, Bewegung, ausreichend Schlaf und eine ausgewogene Ernährung bei. Bei speziellen Problemen stehen viele weitere Möglichkeiten zur Verfügung, positiv auf die Stabilität und die Gesundheit von Mutter und Kind hinzuwirken. 

Wenn dann doch ein Kaiserschnitt notwendig wird, kann den oben genannten möglichen Folgen durch eine empathische und achtsame Begleitung sowie therapeutische Maßnahmen hilfreich begegnet werden.
Weitere Informationen hierzu unter
https://www.anthromedics.org/PRA-0649-DE.

Literaturverzeichnis

  1. Boerma T, Ronsmans C, Melesse DY, Barros AJD, Barros FC, Juan L, Moller AB, Say L, Hosseinpoor AR, Yi M, de Lyra Rabello Neto D, Temmerman M. Global epidemiology of use of and disparities in caesarean sections. Lancet 2018;392(10155):1341-1348.[Crossref]
  2. Franke T. Vaginal-operative Geburt: Zahlen, Daten, Studien. Deutsche Hebammenzeitschrift 2019;71(6):14-17.   
  3. World Health Organization. WHO statement on caesarean section rates. WHO reference number: WHO/RHR/15.02; 2015. Available at https://www.who.int/reproductivehealth/publications/maternal_perinatal_health/cs-statement/en/ (16.11.2020)
  4. Cardwell CR, Stene LC, Joner G, Cinek O, Svensson J, Goldacre MJ, Parslow RC, Pozzilli P, Brigis G, Stoyanov D, Urbonaitė B, Šipetić S, Schober E, Ionescu-Tirgoviste C, Devoti G, de Beaufort CE, Buschard K, Patterson CC. Caesarean section is associated with an increased risk of childhood-onset type 1 diabetes mellitus: a meta-analysis of observational studies. Diabetologia 2008;51:726–735.[Crossref]
  5. Bager P, Wohlfahrt J, Westergaard T. Caesarean delivery and risk of atopy and allergic disease: meta-analyses. Clinical and Experimental Allergy 2008;38(4):634-642.[Crossref]
  6. Chu SY, Chen Q, Chen Y, Bao YX, Wu M, Zhang J. Cesarean section without medical indication and risk of childhood asthma, and attenuation by breastfeeding. PLoS One 2017 Sep 18;12(9):e0184920.[Crossref]
  7. Keag OE, Norman JE, Stock SJ. Long-term risks and benefits associated with cesarean delivery for mother, baby, and subsequent pregnancies: Systematic review and meta-analysis. PLoS Medicine 2018;15(1):e1002494.[Crossref]
  8. Taoac K, Harab Y, Ishiharaa Y, Ohshima Y. Cesarean section predominantly affects right ventricular diastolic function during the early transitional period. Pediatrics & Neonatology 2019;60(5):523-529.[Crossref]
  9. Weidner K, Garthus-Niegel S, Junge-Hoffmeister J. Traumatische Geburtsverläufe: Erkennen und Vermeiden. Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie 2018;222(5):189-196.[Crossref]
  10. Xu H, Ding Y, Ma Y, Xin X, Zhang D. Cesarean section and risk of postpartum depression: A meta-analysis. Journal of Psychosomatic Research 2017;97:118-126.[Crossref]
  11. Daltveit AK, Tollånes MC, Pihlstrøm H, Irgens L Cesarean Delivery and Subsequent Pregnancies. Obstetrics & Gynecology 2008;111(6):1327-1334.[Crossref]

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

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