Musiktherapie bei Angst in der Palliativmedizin

Viola Heckel, Doris Dorfmeister

Letzte Aktualisierung: 05.04.2019

Die Musiktherapie ist in der Palliativmedizin auch geeignet, Ängsten zu begegnen und sie zu lösen (1). Angst geht mit Veränderungen der Atmung und Herzfrequenz einher und findet dadurch ihren unmittelbaren Ausdruck im Rhythmischen System. Ängste können vor allem dort gelöst und begleitet werden, wo sie entstehen, nämlich im seelischen Wesen des Menschen. Die Musik setzt auf dieser Ebene an. Sie öffnet über Klänge, Rhythmen und Melodien innere Erlebnisräume und wirkt über das seelische Erleben regulierend bis in körperliche Vorgänge hinein, insbesondere auf die physiologischen Prozesse von Atemrhythmus und Pulsrhythmus (2).

Bewährt haben sich Saiteninstrumente, besonders die Leier, die sich durch ihre klare, verschwebende und freilassende Tonqualität auszeichnet, sowie die langsam verklingenden Töne von Gong, Handglocke, Zimbel und Gesang. Wenn wir dem angsterfüllten Menschen mit einer individuell auf ihn abgestimmten Musik begegnen – gemeinsam improvisierte (3) wie komponierte Musik, die den musikalischen Atem anregt – entwickelt sich im Patienten ein spürbarer, von Angst befreiter Raum.  Die Atmung wird tiefer und ruhiger, Wärme durchströmt den Patienten bis in die Peripherie. Dabei berührt vor allem das, was zwischen den Tönen lebt. Musik wird lebendig im rhythmischen Wechsel von Klingen und Nachklingen der Töne, vergleichbar einer Geste von Binden und Lösen, quasi einen übergeordneten Atemprozess abbildend. Hier öffnet sich ein geistiger Hörraum, der dem palliativen Menschen in seiner biografischen Situation ein Gefühl von Verbunden sein mit diesem Raum vermitteln kann.

Zu Beginn ist es sinnvoll, den Patienten je nach Möglichkeit eigenschöpferisch in den musikalischen Prozess einzubeziehen. Im fortgeschrittenen Stadium steht die rezeptive Musiktherapie, das aktive Zuhören auf eine live vom Therapeuten vorgespielten oder vorgesungenen Musik im Zentrum. Sie wirkt stärkend und aufrichtend in der Schlichtheit eines Liedes, eines Chorals, einer Melodie, gespielt von einer Leier oder im Vorsingen des Therapeuten. Dadurch können Kräfte entstehen, die zum ewigen, unzerstörbaren geistigen Wesen des Menschen hin orientieren.

Therapeutische Empfehlungen

Angst mit Anspannung

  • Bewährt hat sich die Leier wie auch die Tenor-Chrotta.
    Beide Instrumente vermitteln Hülle und Wärme.
  • Unter den Metallinstrumenten sind Kupfer- oder Bronzegong oder eine Handglocke geeignet,
    am besten aus dem Umkreis gespielt auch in Verbindung mit dem Singen.
  • Töne, Klänge einer pentatonisch gestimmten Kantele oder einer TAO-Leier
    um das Bett des Patienten gespielt, haben ebenfalls eine seelisch entkrampfende Wirkung.

Wärme kann auch von außen durch Vibrationswahrnehmungen angeregt werden, z. B. wenn 

  • an den Füßen des Patienten eine Kantele oder eine Tenor-Chrotta gespielt wird, oder am Rücken mittels einer Klangliege.

Angst mit Depression

Die depressiv-ängstliche Stimmung wird mit dem Leiervorspiel aufgegriffen und allmählich aufgelichtet, belebt und zur Eigenaktivität geführt.

  • Mit leicht spielbaren Instrumenten mit optimaler Klangqualität wie einer Bordunleier
    werden im musikalischen Dialog seelische Atemprozesse angeregt. Wenn der Finger über die Saiten streicht, verbinden sich die Töne zu einem harmonischen Klang. Dur-Klänge wirken seelisch befreiend, die Ausatmung begünstigend. Moll-Klänge zeigen eine die Einatmung impulsierende Wirkung; auf der seelischen Ebene führen sie nach innen.
  • Das anschließende Zimbelspiel
    mit einer sich ausweitenden Armbewegung auf den langen Nachklang vertieft den Atem. Der helle, klare Ton wirkt stimmungsaufhellend.

Angst vor dem „Verlust der Mitte“

Besonders geeignet ist das Singen zur Anregung der Selbstwirksamkeit und Eigenaktivität. Therapeutisch wirksam sind der Aufbau einer Hülle und aktiver Stille z.B. durch

  • Vor- und Nachhören eines Musikstückes, Intervalls oder der Prozesse von Klingen – Verklingen – Pause.

Angst mit Atemnot

  • Es werden atmende Melodien mit lemniskatischem Aufbau sowie Terz- und Quintintervallen – vorzugsweise mit der Altleier – vorgespielt.

Sie können die Angst und Atemnot lindern. Harmoniewechsel helfen, den Atem und die Schwingungsfähigkeit der Seele zu unterstützen. Dadurch wird das Hören angeregt und die physiologische Atmung positiv beeinflusst. Dies geschieht am direktesten beim Singen, das den Patienten über die Atmung als Ganzheit erfasst.

Angst mit seelischer Unruhe

Bei Angst mit seelischer Unruhe werden haltgebende Elemente eingesetzt wie

  • Kompositionen mit klaren Strukturen und Grundtonbezug sowie Wiederholungselemente.
  • Auch das tiefe Streichinstrument, die Tenor-Chrotta hat sich bewährt.
    Über das rhythmische Streichen der leeren Saiten werden strukturierende Kräfte angeregt und innerer Halt vermittelt.

Literaturverzeichnis

  1. Heckel V, Krüerke D, Weiss S, Simões-Wüst AP, Metzner S. Veränderungen von Atmung und Herzrhythmus bei live-gespielter Musik. Eine empirische Pilotstudie in einem spezifisch musiktherapeutischen Setting mit gesunden Probanden. MA Thesis. Hochschule Magdeburg-Stendal; 2015.
  2. Bissegger M. Musiktherapie in der Onkologie. Der Merkurstab 2009;62(4):382-387.
  3. Boelger E. Improvisation und Übung in der Musiktherapie. Versuch einer Zusammenfassung. Der Merkurstab 2005;58(1):24-27.

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

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