Sonnenlicht und Vitamin D

Ein Merkblatt der Gesellschaft Anthroposophischer Ärztinnen und Ärzte in Deutschland (GAÄD)

Georg Soldner, Lüder Jachens, Bart Maris

Letzte Aktualisierung: 20.10.2022

In den Medien wird immer wieder auf die Risiken des Sonnenlichts für die Entwicklung von Hautkrebs hingewiesen. Insbesondere Kinder sollen nach Ansicht der Gesundheitsbehörden nicht ohne Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor oder ausreichend schützende Kleidung in die Sonne gehen. Andererseits wird vor den Gefahren von Vitamin-D-Mangel gewarnt, der wiederum durch Mangel an Sonnenlicht entstehen kann. Vitamin-D-Mangel erhöht nachweislich das Risiko für bestimmte Krebserkrankungen und führt zu Knochenwachstumsstörungen im Kleinkindalter. Bekannt ist auch, dass Ungeborene, deren Mütter an Vitamin-D-Mangel leiden, als Kinder häufiger bestimmte Autoimmunkrankheiten, wie die Zuckerkrankheit, entwickeln können. Welchen Empfehlungen soll man nun folgen? Und wie kann ein gesunder Umgang mit Sonnenlicht und Vitamin D aussehen? Dieses Merkblatt gibt Ihnen Anhaltspunkte zur Orientierung, vorab oder als Ergänzung zu einer ärztlichen Beratung.

Wie wird Vitamin D gebildet und wofür brauchen wir es?

Anders als andere Vitamine kann Vitamin D vom menschlichen Körper selbst hergestellt werden, allerdings nur unter Einwirkung von Sonnenlicht: Das in der Haut aufgebaute Cholesterol wird dabei unter Sonnenlichteinfall in das Provitamin D umgewandelt. Dieses »Lichthormon« gelangt über das Blut in die Leber, wo es als Vitamin D3 gespeichert wird. In einem weiteren Schritt kann es in der Niere und anderen Organen zu aktivem Vitamin D3 umgewandelt werden. Für die Vitamin-D-Bildung spielen also das Sonnenlicht, zum anderen Alter und Gesundheit von Leber und Niere eine entscheidende Rolle.

Schon vor 100 Jahren wurde bekannt, dass Kinder, die (in den lichtarmen und dicht bebauten Arbeitervierteln) zu wenig Sonnenlicht bekamen, zu Rachitis neigten, was sich in Wachstumsstörungen und starken Knochenverformungen äußerte. Man fand heraus, dass die Aufnahme von Kalzium, das für die Knochenbildung unverzichtbar ist, vom Vitamin D-Spiegel des Körpers abhängt. Da Vitamin D kaum oder nur in geringen Mengen in Nahrungsmitteln (wie einigen Fischarten) vorhanden ist, muss der Körper es selbst bilden – und ist dabei auf das Sonnenlicht angewiesen.

Vitamin D wirkt nicht nur aufbauend und formend auf die Knochenbildung. Es ist für ein gut funktionierendes Immunsystem unabdingbar. So können bei Vitamin-D-Mangel vermehrt Abwehrschwächen und Autoimmunkrankheiten auftreten. Überdies zeigt Vitamin D in gewissem Maß eine schützende Wirkung gegen Krebs, insbesondere Brust- und Darmkrebs. Auch für einen gesunden Schwangerschaftsverlauf ist ausreichend Vitamin D notwendig. Man könnte es so formulieren: Das Licht der Sonne hat über die Vitamin-DBildung eine gestaltende Wirkung (Knochen), es hilft uns, auf der Erde anzukommen (Schwangerschaft) und uns gesund zu entwickeln (Immunsystem, Vermeidung von Krebs).

Die Wirkung des Sonnenlichts auf den Menschen lässt sich allerdings nicht auf die Vitamin-D-Bildung reduzieren. Auch der Schlaf-Wach-Rhythmus, der ebenfalls für das Immunsystem, aber auch für das Lernen und die Konzentration von großer Bedeutung ist, wird durch die Aufnahme von Sonnenlicht durch das Auge angeregt. Ebenso ist die innere Regulation der Hormone stark sonnenlichtabhängig. Es gibt Hinweise darauf, dass ein Sonnenlicht-/Vitamin-D-Mangel bestimmte Formen von Depressionen begünstigt, die zum Teil auch mit einer Lichttherapie behandelt werden können. Ausreichende Bewegung unter freiem Himmel kann daher nicht einfach durch Vitamin-D-Tabletten ersetzt werden. Ganz im Gegenteil: Viele der dem Vitamin D zugeschriebenen Wirkungen werden aus dem Vergleich von Menschen mit hohem und niedrigem Vitamin-D-Spiegel abgeleitet. Dabei liegen die positiven Wirkungen nicht allein im Vitamin D begründet. In der Regel zeigen jedoch Menschen mit einem hohen Vitamin-D-Spiegel auch einen vergleichsweise gesünderen Lebensrhythmus mit ausreichender Bewegung unter freiem Himmel.

Nach neuesten Forschungsergebnissen entsteht unter Einwirkung des Sonnenlichts in der Oberhaut Stickstoffmonoxid. Es wird in das Blut aufgenommen und wirkt von hier aus harmonisierend auf eine Neigung zum Bluthochdruck und verbessernd auf die Durchblutung von Herz und Gehirn. Das ist ein schönes zusätzliches Beispiel für den hohen gesundheitlichen Wert des Sonnenlichts (1).

Wieviel Sonne brauchen wir und vertragen wir?

In Mitteleuropa steigt im Winter die Sonne am Himmel nicht sehr hoch. Außerdem ist es meist kalt und wir sind entsprechend warm angezogen, sodass wenig Sonne an unsere Haut kommt. Deshalb ist es gut, dass von Frühjahr bis Herbst Vitamin D im Körper gebildet und dann für den Winter gespeichert werden kann. Die beste Zeit für die Bildung von Vitamin D ist von März bis Oktober, jeweils etwa zwischen 10 und 15 Uhr. Im Hochsommer und in südlichen Ländern kann man die heißen Mittagsstunden aussparen. Dabei reichen meist schon 15−30 Minuten, ohne Sonnencreme. Je mehr Haut frei ist, desto besser. Je empfindlicher die Haut für Sonnenlicht ist, desto schneller bildet sie andererseits Vitamin D. Menschen mit dunklem, wenig empfindlichem Hauttyp benötigen daher mehr Sonnenlicht, hellhäutige Menschen entsprechend weniger.

Sonnencreme unterdrückt bereits bei geringen Lichtschutzfaktoren die Vitamin-D-Bildung in starkem Maße! Deshalb sollte man lieber kurz (ohne Creme) und öfter in die Sonne gehen, statt lediglich 2 Wochen im Jahr durchgängig am Strand zu verbringen. Geht man am Wohnort regelmäßig ins Freie, passt sich die Haut bei den meisten (außer bei sehr hellhäutigen) Menschen der jeweiligen Jahreszeit an und das Sonnenbrandrisiko nimmt stark ab. Präzisere Zeitangaben sind nicht möglich, da die erforderliche sowie verträgliche Verweildauer sehr vom individuellen Hauttyp, dem Wohnort und der Lichtintensität abhängen.

Im Allgemeinen gilt: Wer 3 × pro Woche z. B. Hände, Arme und Gesicht von der Sonne bescheinen lässt, so lange, dass es gerade nicht zu einem (leichten) Sonnenbrand kommt, der wird ausreichend Vitamin D bilden, ohne sich einem Risiko für Hautkrebs auszusetzen. Allerdings gibt es Menschen, die konstitutionell, aufgrund ihres Alters oder krankheitsbedingt nur wenig Vitamin D bilden. Dies sollte im Einzelfall durch eine Blutabnahme geklärt und evtl. behandelt werden. Umgekehrt bleibt eine geeignete Sonnencreme wichtig bei Reisen an Orte mit hoher Sonnenexposition, bei unvermeidlich zu langer Sonnenexposition (Geburtstagsfeier am Strand) oder sehr starker Lichtempfindlichkeit.

Hautkrebsvorbeugung ist wichtig. Das beinhaltet die Vermeidung von Sonnenbrand, und zwar am sinnvollsten durch entsprechende Kleidung, die die Haut bedeckt und dadurch schützt. Die Inhaltsstoffe der allermeisten Sonnencremes hingegen sind nicht unbedenklich, ihre Schutzwirkung gegenüber dem sog. »schwarzen Hautkrebs« (Melanom) ist überdies nicht erwiesen. Eine wohldosierte und überlegte Sonnenexposition, die nötig ist für eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung, führt nicht zu einem erhöhten Hautkrebsrisiko. Heute wissen wir, dass bei maßvoller Sonnenexposition die schützende Funktion von Vitamin D in der Haut krebserregende Effekte des Sonnenlichts überwiegt.

Vitamin-D-Bestimmung, Normwerte und Tabletten

Angesichts der Bedeutung, die dem Vitamin D bei verschiedenen Gesundheitsproblemen zugeschrieben wird, wird bei vielen Menschen der Vitamin-D-Gehalt im Blut bestimmt und im Vergleich zu einem sogenannten Normwert beurteilt. Dieser Normwert ist leider unabhängig von der Jahreszeit, der Hautfarbe und dem Breitengrad festgelegt worden und bietet daher lediglich eine Orientierung. Die Mehrzahl der Menschen in Mitteleuropa weist z. B. am Ende des Winters niedrigere Werte auf. Das bedeutet nicht, dass jeder, der ansonsten gesund ist, aber leicht unter dem Normwert liegt, nun Vitamin-D-Tabletten einnehmen muss. Es kann jedoch eine Anregung sein, etwas mehr nach draußen in die Sonne zu gehen und den Lebensstil in diese Richtung zu verändern.

Liegt hingegen ein medizinischer Grund vor, kann eine Vitamin-D-Behandlung sehr hilfreich sein. Dies gilt beispielsweise für kranke Menschen und solche, deren Vorfahren aus südlicheren Ländern stammen und deren Haut das Sonnenlicht langsamer aufnimmt. Sie sind insbesondere in den Wintermonaten gefährdet, einen Vitamin-D-Mangel zu entwickeln. Frauen, die sich stark gegen Sonnenlicht abschirmen, sollten vor allem in der Schwangerschaft darauf achten, einen Vitamin-D-Mangel zu vermeiden. Die Einnahme von Vitamin D sollte in Absprache mit einem Arzt erfolgen.

Sonnenlicht ist die Quelle des Lebens auf der Erde. Das Verhältnis des Menschen zur Sonne ist für ihn von zentraler Bedeutung. Die aktuelle Debatte um Sonnencreme und Vitamin D ruft uns in Erinnerung, dass jeder Mensch aufgefordert ist, dieses Verhältnis aktiv und bewusst zu gestalten. 

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

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