Arzneitherapie bei Angst

Matthias Girke, Ulrike Steurer, Irene Stiltz

Letzte Aktualisierung: 19.07.2018

Angst braucht eine individuelle Therapiefindung mit Berücksichtigung der Präferenzen und Wertevorstellungen des Patienten. Neben der symptomatischen Kontrolle, die medikamentös, aber auch durch andere Therapieverfahren erreicht werden kann, wünschen sich Patienten oftmals eine Verwandlung der Angst und eine Verstärkung ihrer Selbstwirksamkeit, mit der sie der Angst begegnen können. Durch das Zusammenwirken der medikamentösen Therapie mit den Äußeren Anwendungen, den körperorientierten Therapieverfahren, der Kunsttherapie, Psychotherapie und auch der Seelsorge kann eine überzeugende Wirksamkeit für den Patienten erreicht und der Einsatz von Anxiolytika vermieden oder deutlich reduziert werden.

Angst kann zu seelischer Anspannung mit schreckhaftem Erleben oder innerer Unruhe bis Panik führen. Die medikamentöse Therapie berücksichtigt diese polaren Auslenkungen und versucht, die veränderte seelische Wirksamkeit nicht nur symptomatisch zu kontrollieren, sondern durch die Arzneitherapie auszugleichen und die Wirksamkeit der Ich-Organisation des Patienten dem Angsterleben gegenüber zu stärken. Angst wird oftmals als ein unruhevolles, von „unten nach oben“ steigendes Erleben beschrieben. Durch die Äußeren Anwendungen kann eine Besserung erreicht werden: Die zum Nerven-Sinnessystem orientierte Empfindungsorganisation (Astralische Organisation) wird dadurch in das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem gelenkt. Einige pflegetherapeutische Anwendungen (beispielsweise Äußere Anwendungen im Bereich der Unterschenkel und Füße) folgen diesem Prinzip. Eine hilfreiche pflegetherapeutische Anwendung ist der Aurum-Lavandula-Herzsalbenlappen. Diese Anwendung verstärkt die Selbstwirksamkeit des Patienten und wirkt über das Lavendelaroma angstlösend. Dadurch wird nicht nur die Angst gebessert, sondern auch die Ohnmacht gegenüber dem Angsterleben vermindert und die Befähigung im Umgang mit der Angst gestärkt.

Angst mit Anspannung, seelischer Verkrampfung

  • Cuprum metallicum praeparatum D6 Trit. WELEDA 3 x tgl. 1 Msp.

Kupfer ist bei krampfartigen Beschwerden indiziert, kann bei schreckartiger Anspannung die Seele lösen und das seelisch-geistige Wesen in den aufbauenden Stoffwechsel führen.

  • Cuprum metallicum praeparatum D6, D20 Amp. WELEDA 1 Amp. tgl. s.c. und bei Bedarf

kann bei dieser Indikation parenteral eingesetzt werden. Die tiefere Potenz bezieht sich auf die füllige, metabolische Konstitution, die hohe auf den neurasthenischen Patienten. Bei „starrer“ Angst mit krampfartigem Schmerz ist die gemeinsame Injektion mit Morphin 2,5 – 5 (–10) mg wirksam.

  • Cuprum metallicum praeparatum 0,4 % Salbe WELEDA bzw.
  • Kupfer Salbe rot WALA bei Angst mit kühlen Akren abends auf beide Unterschenkel auftragen.

Angst mit depressiver Stimmungslage und Mutlosigkeit

  • Hypericum Auro cultum, Herba D2 Dil. WELEDA, Hypericum Auro cultum Rh D3 Dil. WELEDA 3 x tgl. 20 Tr. oder 1 x tgl. Hypericum Auro cultum Rh D2, D3 Amp. WELEDA 1 Amp. morgens.

Die antidepressive Wirksamkeit des Johanneskrauts ist bekannt. Für das Heilpflanzenverständnis ist nicht der einzelne Wirkstoff entscheidend, sondern die substanzielle Komposition. Diese ist Ausdruck des immateriellen Wesens dieser um die Johannizeit blühenden Heilpflanze, die Licht und Wärme in ihre Lebensprozesse aufnimmt und dadurch die seelische „Lichtlosigkeit“ des depressiven Patienten aufhellt. Das Gold zeigt durch seine Verbindung von Schwere und Licht eine ähnliche therapeutische Qualität und wird von den Lebensprozessen dieser Heilpflanze über mehrere Pflanzengenerationen aufgenommen.

  • Ferrum sidereum D20 Tbl. WELEDA 1 x tgl. 1 Tbl. morgens.

Eisen aktiviert das geistig-seelische Wesen des Menschen und führt es zu einer verstärkten Wirksamkeit im Organismus. Die Eisenmangelanämie zeigt in ihrer seelischen Adynamie, Schwächung regenerativer Lebensprozesse und der körperlichen Symptomatik die umgekehrte Wesensgliederwirksamkeit. Meteoreisen kann die innere Kraft des Patienten bei Mutlosigkeit verstärken.

  • Pallasit D2 Salbe WELEDA morgens auf beide Waden dünn auftragen.

Diese Salbe mit einem Zusatz von Stein-Eisen-Meteorit mit Chrysolith, einem natürlichen Magnesiumeisensilikat, aktiviert die Ich-Organisation.

Angst mit Atemnot

  • Carbo Betulae D8, D20 Amp. WELEDA 1 x tgl. 1 ml s.c. bis mehrmals täglich

ggf. in Kombination mit Morphin 2,5 – 10 mg.

Kohle steht durch ihre Atmungsaktivität („Lufthunger“ der Aktivkohle) mit der Atmung in Beziehung Sie konzentriert den Kohlenstoff, der sonst durch Bindung des Sauerstoffs als Kohlendioxid in der Atmosphäre wäre. „Hyperkapnie“ und „Hypoxie“ der Lufthülle der Erde werden durch die Kohle vermieden. Dieses prozessuale und nicht substanzanalytische Verständnis der Kohle führt zu ihrem Einsatz bei Dyspnoe unterschiedlicher Ursache. Die Wirksamkeit - die Verbesserung der mit der Dyspnoe verbundenen Angst - ist kurzfristig zu beurteilen.

Angst vor dem „Verlust der Mitte“

  • Aurum/Stibium/Hyoscyamus Amp. WALA zur s.c.-Injektion oder als Trinkampulle mehrmals täglich und bei Bedarf.

Das Medikament wirkt seelisch ordnend (Stibium), es zentriert den Patienten und unterstützt ihn seine innere Mitte zu finden (Aurum). Hyoscyamus wirkt bei Unruhe, es wirkt durchwärmend und entkrampfend.

  • Aurum comp. Amp. WALA 1 x tgl. 1 Amp. morgens und bei Bedarf

hat sich bei unterschiedlichen Angstsyndromen und auch bei der Angst vor dem Sterben bewährt.

Bei bedrohender Angst können die folgenden Arzneimittel eingesetzt werden:

  • Olibanum comp. Amp. WELEDA (enthält Aurum met. praep. D30, Myrrha D6 und Olibanum D12) oder Aurum comp. Amp. WALA (enthält Aurum met. praep. D6, Myrrha D3, Olibanum D3)
  • Aurum D10/Ferrum sidereum D10 aa Amp. WELEDA
  • Aurum/Hyoscyamus comp. Amp. WELEDA (enthält Aurum met. praep. D10, Hyoscyamus D5, Stibium met. praep. D6) oder Aurum/Stibium/Hyoscyamus Amp. WALA (enthält Aurum met. D9, Hyoscyamus niger D4, Stibium met. D7).

Angst mit seelischer Unruhe

• Bryophyllum 50 % Trit. WELEDA 3 x ½ TL, bedarfsweise auch bei Unruhe und – aufgrund der schlafanstoßenden Wirksamkeit – zusätzlich ½ TL zur Nacht.

Diese Heilpflanze entwickelt eine ausgeprägte vegetative und regeneratorische Kraft. Sie führt das seelische Wesen des Menschen (astralische Organisation) aus der unruhevollen Aktivierung in die aufbauende Wirksamkeit der Lebensorganisation. Die Patienten fühlen sich unter dieser Medikation schnell zentrierter, ausgeglichener und beruhigt und erleben eine wiedergewonnene Selbstwirksamkeit gegenüber der entfesselten seelischen Dynamik.

  • Bryophyllum D5/Conchae D7 aa 1 ml, 10 ml Amp. WELEDA
  • Aurum/Stibium/Hyoscyamus Glob., Amp. WALA: Ampullen sublingual; Aurum/Hyoscyamus comp. Trit., Amp. WELEDA: Ampullen s.c. bei Bedarf
  • Aurum D10/Ferrum sidereum D10 aa Amp. WELEDA
  • Hyoscyamus/Valeriana Amp. WELEDA s.c.
  • Gencydo bis 5 % Amp. WELEDA s.c. in die Wade: Bedarfsmedikation bei anfallsweiser Unruhe und Panik

Literaturverzeichnis

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  10. Sommer M. Potenziertes Kupfer bei Alpträumen von Verstorbenen - Wirksamkeitsbeleg an Einzelfällen. Der Merkurstab 2001;54(3):146-152.
  11. Sommer M, Soldner G. Aconitum als Heilmittel – Pflanzentypus, Mythos, Arzneimittelwirkung. Der Merkurstab 2014;67(6):432-435.
  12. Titze O. Aurum und Aurumtherapie. Der Merkurstab 2007;60(6):557-559.

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

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