Singen und Musizieren für Kleinkinder

Monica Bissegger

Letzte Aktualisierung: 18.11.2019

Haben Sie als Eltern bemerkt, wie sich Ihre Stimme verändert, wenn Sie mit Ihrem kleinen Kind sprechen? Ihre Stimme wird weicher, leichter, höher, melodiöser, singender. Sie stellen sich als Erwachsene ganz auf Ihr Kind ein. Sie haben sich ihm zugewandt. Sie staunen über sein Lächeln, über das Strahlen seiner Augen, über seine Lautäußerungen. Und schon bald bemerken Sie, wie Sie selbst lächeln, strahlen und „mitsprechen“, in den „Singsang“ mit einstimmen.

Dieses sich Einstimmen auf Ihr Kind, indem Sie mit Ihrem ganzen Wesen bei ihm sind – so wie es selbst mit seinem Wesen ganz bei Ihnen ist – vermittelt Ihrem Kind lebensnotwendige Gefühle von Schutz, Sicherheit und Geborgenheit. Das in Ihnen aufsteigende Gefühl von Glück bahnt sich einen Weg über Ihre Stimme nach außen in dem liebkosenden Sprechen mit Ihrem Kind. Das erste Singen hat begonnen.

Singen

Wenn wir singen, sind wir ganz bei uns selbst. Wir werden ruhig, fühlen uns sicher in uns selbst, fühlen uns frei, freudig und zuversichtlich. Es wird uns „warm um die Seele“. Singen lässt uns alle Ängste und Sorgen vergessen, es macht uns mutig und lebensfroh.

Kinder spüren die Stimmungen von Erwachsenen sehr genau. So spüren sie unsere Ruhe, unsere Sicherheit, unsere Zuversicht, unser Vertrauen, unsere seelische Wärme, wenn wir für sie singen. Sie spüren unsere Aufmerksamkeit und Zugewandtheit. Sie fühlen sich geschützt und geborgen.

Ob Sie als Eltern das Gefühl haben, eine „schöne“ Stimme zu haben oder eher nicht, ist hier nicht entscheidend. Wichtig ist, dass es Ihre Stimme ist. Wählen Sie eine Tonhöhe, die Ihnen angenehm ist, in der Sie entspannt singen können. Wenn Sie für Ihr Kind singen, werden Sie bemerken, wie Sie eher leicht und leise singen. Sie passen sich mit Ihrer Stimme Ihrem kleinen Kind an und stellen vielleicht verwundert fest, wie „schön“ Ihre Stimme klingt.

Am besten fangen Sie bereits in der Schwangerschaft mit dem Singen an, falls Sie schon eine Weile nicht mehr gesungen haben. Summen Sie vor sich hin oder singen Sie ein Lied, evtl. sogar ein Kinderlied, welches Ihnen in den Sinn kommt. Sie werden bemerken, wie wohltuend und stimmungsaufhellend dies ist. Sie können auch für Ihr Kind singen und so den Kontakt zu ihm suchen. Vielleicht spüren Sie dabei sogar eine innige Zweisamkeit.

Ist Ihr Kind auf der Welt, können Sie für dieses singen oder summen, wenn Sie es auf dem Arm haben oder wenn es in seinem Bettchen liegt. Auch wenn Ihr Kind frühgeboren ist, können Sie am Inkubator stehen und für Ihr Kind singen (1, 2).

Eine Mutter schilderte ihr Erlebnis mit ihrem frühgeborenen, im Inkubator liegenden Kind, dem sie immer wieder vorgesungen hatte, so: „Ich habe gesehen, wie ich mein Kind mit dem Singen streichle.“

Lieder

Vielleicht erinnern Sie ein Lied aus Ihrer eigenen Kindheit. Sie werden bemerken, wie tief Sie mit diesem Lied verbunden sind. Sie werden das Bedürfnis haben, dieses Lied auch Ihrem eigenen Kind zu singen. Wichtig ist es vor allem, ein Schlaflied zu finden, das Sie Ihrem Kind immer wieder über eine sehr lange Zeit singen können. Ein Abendritual wird Ihrem Kind helfen, sich vertrauensvoll ins Bett zu legen und in den Schlaf zu finden. Ein bekanntes Abendlied ist beispielsweise (3): 

Schutzengel mein, behüt' mich fein,
Tag und Nacht, früh und spät,
bis meine Seele in den Himmel eingeht,
Schutzengel mein, behüt‘ mich fein.

Sie können auch beim Wickeln oder beim Anziehen singen. Vielleicht erzählen Sie singend, was Sie gerade zusammen machen. Oder Sie singen, wenn Ihr Kind weint und Trost braucht. Sie wiegen es im Arm und summen mit wenigen Tönen. Es muss nicht immer ein Lied sein. Die Melodien können frei entstehen, während Sie Ihr Kind wiegen. Sie werden dabei für Sich feststellen, dass Sie mit dem Singen selber ruhig werden, und so Ihrem Kind eine wichtige Hilfe sein können.

Musikinstrumente

Die Kinderharfe (Choroi-Musikinstrument) (4) ist für das kleine Kind entwickelt worden (5).

Abb. 1: Kinderharfe © Monica Bissegger

Sie hat einen offenen Korpus. Der Klang ist peripher, leise und fein. Die sieben Saiten werden in einer halbtonlosen und damit pentatonischen Skala von d` bis e`` in reinen Quinten um den Zentralton a` herum gestimmt (d` – e` – g` – a` – h` – d`` –  e``). Es wird in der sogenannten Quintenstimmung gespielt (eine Empfehlung Rudolf Steiners) (6, 7). Mit der Kinderharfe können pentatonische Melodien ganz frei erfunden werden. Das Schwingen der Töne um eine Mitte herum vermittelt eine schwebende und leichte Stimmung. Diese Stimmung passt zum Abendritual, später auch zu einer Geschichte oder einem Märchen. Es können auch pentatonische Lieder gespielt werden. Die Singstimme kann dazu kommen.

Falls Sie das Bedürfnis nach anderen Musikinstrumenten haben, wählen Sie kleine und einfache aus, wie z. B . ein Glöckchen, einen Schellenring oder Klanghölzchen.

Abb. 2: Kupferglöckchen © Monica Bissegger

Abb. 3: Schellenring © Monica Bissegger

Abb. 4: Klanghölzchen © Monica Bissegger

Seien Sie während des Spielens sehr aufmerksam, wie Ihr Kind darauf reagiert. Werden Sie leiser oder auch etwas lauter, so wie es Ihrem Kind gut tut. Wie lange Sie spielen, stimmen Sie ganz auf Ihr Kind ab. Achten Sie darauf, dass sich nicht zu viele Sinneseindrücke überlagern. Meistens braucht es nicht viel Klang, dann möchten die Kinder selbst aktiv werden und selbst etwas entdecken.

Das wichtigste „Musikinstrument“ für das kleine Kind ist die Stimme. Es braucht also nicht unbedingt ein Musikinstrument zu sein. Die Hauptsache ist, dass das Kind immer wieder von der Leichtigkeit der Klänge und der damit verbundenen Stimmung umgeben wird. 

So wie Sie selbst mit den Klängen ruhiger und ausgeglichener, ja freudiger werden, wird auch Ihr Kind ruhiger und ausgeglichener. Die gemeinsame Freude schafft zwischen Ihnen und Ihrem Kind eine tiefe Verbindung.

Literaturverzeichnis

  1. Bissegger M. Musiktherapie bei frühgeborenen Kindern und ihren Müttern. In: Aldrige D (Hrsg.) Kairos V, Beiträge zur Musiktherapie in der Medizin. Bern: Hans Huber Verlag; 2000.
  2. Bissegger M. Musiktherapie bei frühgeborenen Kindern und ihren Müttern. Anthromedics: https://www.anthromedics.org/PRA-0805-DE
  3. In: Engel mein, Engel du. Schlaflieder und Gedichte illustriert von Angela Koconda. 2. Aufl. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben; 2017.
  4. Siehe auch: www.choroi.org
  5. Laier M, Beilharz G. Kinderharfe spielen. Anregungen für Eltern und Erzieherinnen. Weilheim/Teck: Edition Zwischentöne; 2009.
  6. Steiner R. Das Wesen des Musikalischen und das Tonerlebnis im Menschen. GA 283. 5. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1989.
  7. Ellersiek E. Wiegen- und Ruhelieder in der Quintenstimmung. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben; 2001.

Literaturempfehlungen

König K. Die ersten drei Jahre des Kindes. Sonderausg. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben; 2017.

Oberländer H. Quintenstimmungslieder im Jahreslauf. 4. Aufl. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben; 2017.

Seidel-Weidemann S (Hrsg.) Lieder für den Kindergarten. 5. Aufl. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben; 2017.

Pikler E. Miteinander vertraut werden. Erfahrungen und Gedanken zur Pflege von Säuglingen und Kleinkindern. Sonderausg. Freiburg: Arbor Verlag; 2014.

Haslbeck F. Musiktherapie mit Frühgeborenen und ihren Eltern. Ansätze, Empirie und Erfordernisse. Musiktherapeutische Umschau 2009:30(4):311–321.

Neues aus der Forschung

Phase IV-Studie: Kalium phosphoricum comp. bei Reizbarkeit und Nervosität Placebo überlegen
In einer neuen klinischen Studie wurde Kalium phosphoricum comp. (KPC) gegen Placebo an je 77 Patienten pro Gruppe getestet. Eine Post-hoc-Analyse der intraindividuellen Unterschiede nach 6 Wochen Behandlung zeigte einen signifikanten Vorteil von KPC gegenüber Placebo für die charakteristischen Symptome Reizbarkeit und Nervosität (p = 0,020 bzw. p = 0,045). In beiden Gruppen wurden 6 unerwünschte Ereignisse (UAE) als kausal mit der Behandlung zusammenhängend bewertet (Schweregrad leicht oder mittelschwer). Keine UAE führte zu einem Abbruch der Behandlung. KPC könnte daher eine sinnvolle Behandlungsoption für die symptomatische Linderung von Neurasthenie sein. Die Studie ist in Current Medical Research and Opinion frei zugänglich publiziert:  
https://doi.org/10.1080/03007995.2023.2291169.

Weiterführende Informationen zur Anthroposophischen Medizin